Wer ist Medwedjew?PORTRÄT

Wer ist Medwedjew?

Wer ist Medwedjew?

Als Wladimir Putin in den Kreml kam, versprach er die „Diktatur des Gesetzes“. Sein Kronprinz gibt sich liberal und verspricht „die Entwicklung des menschlichen Potentials“. Hat der Professoren-Sohn aus St. Petersburg das Zeug für ein eigenes Profil?

Von Ulrich Heyden

Hat Medwedjew das Zeug für ein eigenes Profil?  
Hat Medwedjew das Zeug für ein eigenes Profil?  

D ieser Auftritt hat Dmitri Medwedjew wohl Spaß gemacht: Letzte Woche besuchte er eine Eishockey-Jugend-Mannschaft in Kasan an der Wolga. Am Spielfeld erinnert er sich an seine Jugend, als man die Kufen noch unter die Filzstiefel schnallte. Die Jungens, die da übers Eis fegten, waren perfekt ausgerüstet. Russland kann wieder stolz sein. Umringt von den jungen Spielern lässt sich der Kronprinz filmen. Dann spricht er vor mehreren Tausend jungen Sportlern in einer Arena. Der 42jährige läuft auf die Bühne, fast wie ein Rockstar. Er trägt ein helles Jackett und einen schwarzen Pulli. Die Massen jubeln. „Schwache werden geschlagen. Aber es werden auch die geschlagen, die keinen Kopf haben,“ ruft der Kandidat in die Menge. Russische Fahnen werden geschwenkt. „Wir wollen stark, klug und modern sein.“ Wieder Jubel. „Wperjod Rossija!“ (Vorwärts Russland!), ruft der Kronprinz. Selbstbewusstsein kommt an. Medwedjew verkörpert wie sein Ziehvater Putin das wirtschaftlich erstarkte Russland, dass nach dem Willen des Kremls in ein paar Jahren zu den stärksten Wirtschaftsmächten der Welt gehören soll.

„Putin Plus“

Bei den jugendlichen Wählern wird  Medwedjew am Sonntag keine Probleme haben. Bei der älteren Generation gibt es dagegen viele Skeptiker. 38,5 Millionen Rentner muss Medwedjew überzeugen. Letzte Woche besuchte er eine alte Frau in Baschkortostan und trank eine Tasse Tee mit ihr. Stolz erklärte der Kronprinz, die Rente habe sich in den letzten sieben Jahren fast verdoppelt. Die alte Dame wagte nicht zu widersprechen.
 
Für ein Land, dessen Milliardäre heute die internationale Reichen-Liste führen, ist die Bilanz kümmerlich. Mit einer durchschnittlichen Rente von 4.000 Rubel (110 Euro) sind die russischen Pensionäre heute auf die Hilfe ihrer Familie angewiesen. Der alten Dame versprach Medwedjew, dass die Rente ab nächstem Jahr um das Anderthalbfache über dem Lebensminimum liegen soll.

Putin erklärt immer wieder, er habe volles Vertrauen zu Medwedjew. „Ich kenne ihn mehr als 17 Jahre.“ Für die Russen ist das Bekenntnis des Kreml-Chefs ausreichender Grund, dem Kronprinzen aus St. Petersburg am Sonntag die Stimme zu geben. Medwedjew, das ist für die Russen so etwas wie „Putin Plus“. Für die Großstädter heißt das, Russland bleibt stabil, die Löhne steigen langsam, man kann Kredite aufnehmen und sich Autos und Wohnungen kaufen.

Gegen den „Rechts-Nihilismus“

Medwedjew betont bei seinen Auftritten, es gehe jetzt darum, das „menschliche Potential“ zu entwickeln. Zu diesem Zweck hat der Kreml nationale Programme aufgelegt. Die Landwirtschaft, der Wohnungsbau, die Krankenhäuser und die Schulen bekamen Sondermittel zugeteilt. Das ganze Programm wurde von Medwedjew geleitet und machte ihn landesweit bekannt.

Auf einem Wirtschaftsforum im sibirischen Krasnojarsk hielt Medwedjew eine Grundsatzrede (Siehe Beitrag „Freiheit statt Putinismus?“), die nur so vor liberalen Bekenntnissen strotzte. Der Kronprinz sagte Korruption und „Rechts-Nihilismus“ den Kampf an. Richter dürften nicht mehr „auf Telefonanrufe“ hin oder „für Geld“ Urteile fällen. Die Beamten müssten „erkennen, dass die Gesellschaft ihr Arbeitgeber ist“. Bürger, die unter Behörden-Willkür leiden, müssten entschädigt werden. „Freiheit“ sei ein Schlüsselbegriff einer modernen Gesellschaft. Medwedjew sprach auch von der Bedeutung der „unabhängigen Medien“ und der „Meinungsfreiheit“, doch vom politischen Pluralismus sprach er nicht.

 „Ein ganz normaler Junge“

Putins Kronprinz wurde in Leningrad - dem heutigen St. Petersburg - geboren. Er wuchs im Süden der Stadt, im Bezirk Kuptschino auf. Dmitri lebte mit den Eltern in einer Zwei-Zimmer-Wohnung im sechsten Stock eines Plattenbaus. Sein Vater war Professor für Maschinenbau, seine Mutter Lehrerin für russische Sprache und Literatur. Die Wohnung war nur 40 Quadratmeter groß, was aber in Russland normal ist.

Er sei nicht streng erzogen worden, erinnert sich der Präsidentschafts-Kandidat gegenüber dem russischen Magazin „Itogi“. Er selbst praktiziere bei seinem Sohn Ilja einen liberalen Erziehungsstil. Seiner Frau Swetlana, die er bereits in der siebten Klasse kennen gelernt habe, sei das manchmal „zu liberal“.  

„Ich wuchs als Hofkind auf und habe viel Zeit auf der Straße verbracht“, erzählt der Präsidentschaftskandidat. Hausaufgaben habe er „wenig gemacht“. Ein Stubenhocker will er auf keinen Fall gewesen sein. Seine Lehrerin dagegen erzählt, man habe ihn „selten auf der Straße mit seinen Kumpeln getroffen.“ Lehrer und Professoren meinen, Medwedjew sei ein „ganz normaler Junge“ aber immer besonders fleißig gewesen.

Das Einzelkind versuchte sich zu stählen. Dmitri paddelte im Ein-Mann-Boot und stemmte Gewichte. Dafür bekam er an seiner Schule sogar einen Preis. Sein größter Traum waren „Jeans und Platten“. Er schwärmte für Deep Purple. Zum fünfzehnten Geburtstag von Gasprom – seit 2000 ist Medwedjew Aufsichtsratesvorsitzender des Konzerns - ließ er die Gruppe im Kreml aufspielen. Danach lächelte er zusammen mit den Musikern für ein Erinnerungsphoto.

Nachts an der Druckerpresse

Dmitri ließ sich mit 23 heimlich in einer russisch-orthodoxen Kirche in der Innenstadt von Leningrad taufen. „Die Entscheidung habe ich selbst getroffen“, erzählt er. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Medwedjew sei jüdischer Herkunft, mütterlicherseits. Auch die israelische Zeitung Haaretz berichtete schon darüber. Im russischen Internet wird das Thema heftig diskutiert. Doch Die Moskauer Zeitungen schweigen zu den Gerüchten. Man möchte den russischen Nationalisten nicht unnötig Futter liefern.

Medwedjew war im Komsomol, dem kommunistischen Jugendverband. „Ich habe das nicht als Belastung empfunden“, erinnert er sich. Dann 1989, wurde er mitgerissen von den stürmischen Entwicklungen im Land. Sein Lehrer, der Jura-Professor Anatoli Sobtschak, kandidierte 1989 für den Kongress der Volksdeputierten. Sobtschak trat für Marktwirtschaft und politischen Pluralismus ein. Der KGB beschlagnahmte Sobtschaks Wahlkampf-Erklärung. Da trat Medwedjew in Aktion. Zusammen mit anderen Unterstützern druckte er nachts eine neue Fassung. Später sagte er der Witwe Sobtschaks, er habe sich „wie Lenin gefühlt“, der die Untergrundzeitung „Iskra“ druckte.

1991, als Sobtschak zum Bürgermeister gewählt wurde, holte dieser Medwedjew als Rechts-Experten in die Stadtverwaltung. Medwedjew arbeitete in der Abteilung Außenbeziehungen Verträge für Investitions-Projekte aus. Sein direkter Vorgesetzter war Wladimir Putin. Gleichzeitig arbeitete der strebsame Jurist als Uni-Dozent. Außerdem wurde er Co-Autor an einem Lehrbuch für Zivilrecht. Doch damit gab er sich noch längst nicht zufrieden. Medwedjew wurde Geschäftsmann und zwar bei der Holzfirma Finzell, die bald Anteile bei einem der größten russischen Holz-Produzenten Ilim Pulp erwarb. In seiner offiziellen Biographie taucht diese Tätigkeit nicht auf, denn das kommt bei den Wählern vielleicht nicht so gut an.  

Das Tandem

1999 wechselte Medwedjew von St. Petersburg nach Moskau. Boris Jelzin hatte Wladimir Putin zum Ministerpräsidenten ernannt und Putin machte den 13 Jahre jüngeren Medwedjew zum stellvertretenden Leiter des Regierungsapparates. Ab jetzt bedeutete jeder Karrieresprung von Putin auch ein Vorankommen für Medwedjew. Im Jahre 2000 wurde er stellvertretender Leiter der Präsidialverwaltung und Aufsichtsratsvorsitzender von Gasprom. Unter Medwedjews Führung stieg der Konzern ins Mediengeschäft ein, kaufte Zeitungen wie die „Iswestija“ auf und entmachtete die Kreml-kritische Redaktion des Fernsehkanals NTW um Jefgeni Kiseljow. Als der Yukos-Chef Michail Chodorkowski verhaftet wurde, gab es von Medwedjew verhaltene Kritik. Die Aktion gegen Yukos sei „nicht zu Ende durchdacht“, erklärte er. Im November 2005 ernannte Putin seinen Ziehsohn zum stellvertretenden Ministerpräsidenten.

Zum Streit kam es im Tandem Putin und Medwedjew nie, zumindest nicht in der Öffentlichkeit. Zwischen die beiden scheint kein Blatt Papier zu passen. Wird sich Kronprinz jemals von seinem Ziehvater emanzipieren, fragt man sich? Ist Medwedjew möglicherweise nur eine Schachfigur in Putins Spiel? Die Antworten auf diese Fragen wird man erst in einigen Monaten kennen, wenn der neue Kreml-Chef Medwedjew und der neue Ministerpräsident Putin ihre Verantwortungsbereiche aufgeteilt und Russlands neues Staatsoberhaupt seine Mannschaft zusammengestellt hat.

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