Härtetest mit tödlichem AusgangRUßLAND

Härtetest mit tödlichem Ausgang

Härtetest mit tödlichem Ausgang

Junge Wehrpflichtige mußten beim Transport in den russischen Fernen Osten bei minus 25 Grad stundenlang auf Flugplätzen warten. Über 70 Soldaten wurden in Krankenhäuser eingeliefert, einer starb an einer Lungenentzundung. Putin ordnete die Untersuchung des Falls an.

Von Ulrich Heyden

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Russische Rekruten  

EM – Auf dem Moskauer Flughafen Tschkalowa warteten am fünftenDezember 119 junge Wehrpflichtige auf ihren Abflug in den russischen FernenOsten, nach Magadan. Früher brachte man Strafgefangene in diese Gegend.Die jungen Männer sollten am Ochotskischen Meer ihren Dienst als Grenzschützerableisten. Angesichts dessen, was sich während der Reise ereignete, fragtman sich, was sich seit den Gulag-Zeiten in Rußland geändert hat.

Weil sich der Abflug verzögerte, brachte man die jungen Rekruten füreinen Tag in einer eiskalten Kaserne unter. Einige schliefen auf dem nacktenFußboden. Was sich die 16 Offiziere und Fähnriche, welche die Gruppebegleiteten, dabei dachten, ob diese Behandlung von der Armeeführung gedecktwar, wird zur Zeit untersucht.

Nach dem Abflug aus Moskau ging die Tortur weiter. Beim Auftanken und Entladendes Transportflugzeuges in Nowosibirsk und Komsomolsk am Amur ließ mandie jungen Männer bei starkem Wind und Minustemperaturen von 25 Grad inZivilkleidung stundenlang auf dem Flugfeld warten.

Am 14. Dezember wurden die ersten 17 Soldaten mit Verdacht auf Lungenentzündungin die Krankenhäuser von Magadan eingeliefert. Am zweiten Januar starbeiner von ihnen, Wladimir Beresin. „Er war gerade mal einen Monat bei der Armeeund schon mußte er im Zinksarg zurück nach Hause,“ berichtet einerder Kameraden in weißem Krankenhemd und traurigem Gesicht gegenüberdem russischen Fernsehsender ORT. Die Zahl der Eingelieferten stieg in denfolgenden Tagen auf über 70.

„Wir warteten auf den Brief und es kam der Tod“

Am siebten Januar, dem russischen Weihnachtsfest, beerdigte Mutter TatjanaBeresina ihren Sohn. Fünf Tage später bekommt sie den ersten Briefvon Wladimir. Er hatte ihn am 15. Dezember abgeschickt. Begeistert schrieber von den Naturschönheiten und Vulkanen am Ochotskischen Meer. „Wir wartetenauf den Brief und es kam der Tod“, meint die Großmutter. Wladimir habesich überhaupt nicht vor der Armee gefürchtet und sich sogar gefreut,daß er zu den Grenztruppen komme, berichtete die alte Frau gegenüberder Tageszeitung „Iswestija“. Jeden Tag habe er Gewichte gehoben, um fürden Dienst in Form zu kommen.

Die Armeeführung erklärte zunächst, sie trage keine Verantwortungfür den Vorfall, schuld sei der Grenzschutz. Doch dann korrigierte VerteidigungsministierSergej Iwanow die offizielle Position und erklärte, er wolle die Verantwortungnicht auf den Grenzschutz abschieben, obwohl dieser ihm nicht unterstehe. InRußland ist der Grenzschutz dem Geheimdienst FSB unterstellt. „Wir müssenaus diesem Beispiel sehr ernste Schlüsse ziehen“, erklärte Iwanow.Die Verantwortlichen würden ermittelt und bestraft. Wladimir Putin sprachvor dem Kollegium des Geheimdienstes von einem „verbrecherischen Verhaltengegenüber Menschen“. Als im Saal Murren aufkam, erklärte der Kreml-Chef,offenbar wüßten nicht alle, was vorgefallen sei. Der Präsidentberichtete den aktuellen Informationsstand. „Man hat sie in Wind und Frostwarten lassen.“

1.200 Soldaten starben letztes Jahr – ohne Feindkontakt

Die Vorsitzende der „Soldatenmütter“, Walentina Melnikowa, erklärteim Radiosender „Echo Moskwy“, derartige Vorfälle gäbe es in der Armeeständig. Melnikowa sprach von „bewußter Brutalität“. Die Wehrpflichtigenverfrachte man in Zügen zu ihren Einsatzorten durch das ganze Land. Dabeiwürden die Rekruten zu zwölft in Vier-Mann-Abteile gezwängtund kämen dann halb verhungert und krank am Dienstort an. Die Zuständein der russischen Armee sind trotz aller Reformankündigungen immer nochhaarsträubend. Allein im letzten Jahr starben 1.200 Soldaten an den üblichenSchindereien und Unfällen.

Wie der russische Militärstaatsanwalt Aleksandr Sawenkow mitteilte, wurdenwegen dem Tod des Wehrpflichtigen Beresin bereits 250 Armeeangehörige,darunter 22 Generäle, verhört. Einer der Offiziere, der die Gruppebegleitete, soll die Verantwortung für den Tod des Jungen tragen. Währendder Militärstaatsanwaltschaft den Fall untersucht, prüft eine medizinischeKommission, ob die anderen Soldaten für den weiteren Wehrdienst tauglichsind.

Mehr von Ulrich Heyden finden Sie unter www.ulrich-heyden.de.

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