09.08.2023 13:11:56
EM-INTERVIEW
Von Hans Wagner
Zur Person: Dr. Hanne Seelmann-Holzmann | |
Dr. Hanne Seelmann-Holzmann ist Soziologin und Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie hat eine Reihe von Forschungsprojekten zum Kulturvergleich Asien – Europa durchgeführt, u. a. finanziert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die VW-Stiftung. Die Wissenschaftlerin bereiste mehrfach die südostasiatischen Länder Singapur, Malaysia, Thailand, Indonesien und Vietnam. Ihre Studien führten sie außerdem nach China, Indien, Japan und Südkorea. Seit 1994 ist Dr. Seelmann als selbständige Unternehmensberaterin tätig. Dr. Seelmann Consultants bietet Strategieberatung und Prozessbegleitung für das Asiengeschäft. Frau Dr. Seelmann ist Autorin mehrer Fachbücher und Gastdozentin an der International Business School in Nürnberg. www.seelmann-consultants.de |
urasisches Magazin: Kishore Mahbubani, Politikwissenschaftler aus Singapur, hat ein bemerkenswertes Buch geschrieben mit dem Titel „Die Rückkehr Asiens: Das Ende der westlichen Dominanz“. Er sagt: Dass der Westen die Welt zwei Jahrhunderte dominiert hat, war eine Anomalie der Geschichte. Ihr Arbeitsfeld ist Asien. Sehen Sie das auch so?
Hanne Seelmann-Holzmann: Europa erlebte ab dem 16. Jahrhundert eine technisch-industrielle Revolution. Sie hat verschiedene Ursachen, wie etwa die Bauernbefreiung oder die Französische Revolution im politischen Bereich, wissenschaftliche Erkenntnisse und technische Erfindungen. Diese Entwicklungen wurden unterstützt durch ein wirtschaftsfreundliches Denken, wie zum Beispiel das protestantische Arbeitsethos. Die damit verbundenen wirtschaftlichen Erfolge – zusammen mit dem grundsätzlichen Überlegenheitsgefühl christlich-abendländischen Denkens - bewirkten, dass der Westen in den letzten zwei Jahrhunderten eine dominante Macht war. Mahbubani weist ja darauf hin, dass zwischen dem 10. und dem 15. Jahrhundert die asiatischen Länder, wie etwa China, Indien oder Japan in wirtschaftlicher Hinsicht mit Europa gleichauf lagen. Ich sehe allerdings keine Anomalie der Geschichte in der westlichen Dominanz, sondern einfach den wirtschaftlichen Vorsprung, bedingt durch die geschickte Nutzung oben erwähnter Parameter.
EM: Der Asiate Mahbubani hat eine auffallend sanfte Diktion für seine uns Westlern gegenüber doch ungeheuerliche Prophezeiung. Er sagt uns nichts weniger als den Niedergang voraus und wählt dafür die Worte: Die Asiaten wollen den Westen nicht dominieren, sondern ihn imitieren. Wie ist das zu begreifen?
Seelmann: Für Mahbubani gehört dazu vor allem die Beseitigung von Hunger und der Zugang zu Wasser. Zum Beispiel die hygienische Revolution der Wassertoiletten. Allgemein ist es die Erhöhung materiellen Wohlstandes und damit mehr Wahlmöglichkeiten für das eigene Leben und für die nachzuahmenden Dinge. Mahbubani sieht die Europäische Gemeinschaft als einen Garanten für Frieden zwischen den europäischen Staaten. Auch das zu imitieren empfiehlt er den asiatischen Nationen. Und dann ermahnt er natürlich den Westen, die dort so hoch geschätzten demokratischen Werte auch umzusetzen und zum Beispiel in den internationalen Organisationen wie IWF oder Vereinte Nationen Führungspositionen endlich mit Vertretern asiatischer oder afrikanischer Staaten zu besetzen. Das würde eben bedeuten, die westliche Dominanz zu beenden. Mit einem Satz könnte man sagen: Mahbubani fordert gleiche Rechte in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht auch für die asiatischen Staaten.
EM: Ist das die asiatische Form des Kampfes der Kulturen?
Seelmann: Für mich ist das kein Ausdruck eines Kampfes der Kulturen, sondern einfach die konsequente Folge neuer weltwirtschaftlicher Machtverhältnisse. Wenn China im März 2009 über zwei Billionen US Dollar an Devisenreserven verfügt, eine Ablösung des US Dollars als Leitwährung fordert und dem IWF Kredite geben kann, so sind das einfach Fakten. „Wer zahlt, schafft an“, sagt man auch bei uns. Auch die neue amerikanische Regierung hat erkannt, dass eine multipolare Weltwirtschaft entstanden ist, die neue politische Strategien fordert.
EM: Der US-Amerikaner Samuel Huntington war es, der einen Zivilisationenkampf vorhersagte. Von Kampf ist bei Mahbubani kaum die Rede, sondern von Friedenskultur, von Bildung, sozialer Gerechtigkeit, Rechtsstaat und Partnerschaft – alles Begriffe aus dem westlichen Denken. Will Asien zum besseren Westen aufsteigen?
Seelmann: Die Sichtweise und Prognose Huntingtons erscheint mir als typischer Ausdruck westlichen Denkens, das stark mit Entweder-oder-Kategorien arbeitet. Deshalb geht es erst einmal um Kampf, wenn zwei Denksysteme aufeinander treffen – noch dazu wenn eines davon einen großen Dominanzanspruch hat. Alle asiatischen Philosophien propagieren das Sowohl-als-auch-Konzept. Sie sprechen anderen Deutungssystemen durchaus Legitimität zu, anerkennen ein gleichberechtigtes Nebeneinander. Ganz pragmatisch formulierte das einmal der frühere Premierminister von Singapur, Lee Kuan Yew, als er sagte: „Ihr müsst uns nicht lieben. Ihr müsst nur mit uns Geschäfte machen.“ Äußerungen von Mahbubani – der ja auch aus Singapur stammt – sind Ausdruck solcher Einstellungen. Er betont einfach die Legitimität unterschiedlicher Weltsichten. Und das kann dem Westen ganz schön wehtun, z.B. wenn er anführt, dass wir es zu akzeptieren haben, wenn ein Land die Scharia als Grundlage der Rechtssprechung einführt. Ich möchte zum Beispiel nicht akzeptieren, dass eine vergewaltigte Frau als Täterin dargestellt und dann auch noch zu Tode gesteinigt werden kann.
EM: Wie sollte man sich als Westen, als westlicher Unternehmer vor allem, verhalten? Sie hatten in einem vielbeachteten Interview im Dezember 2004 gesagt: „Was unsere Unternehmer in China machen, ist Harakiri“. Und was machen unsere Unternehmer heute?
Seelmann: Das ist sehr unterschiedlich. Gerade in China sind westliche Unternehmen manchmal - auch durch eigene Sorglosigkeit - in eine schlimme Zwickmühle geraten. Chinesische Partner – und da sind natürlich Ministerien oder Staatsbetriebe am deutlichsten – fordern offen und vehement technisches Know-How, machen den Technologietransfer zum Teil zur Bedingung für eine weitere Kundenbeziehung. Einige meiner Kunden sprechen von Erpressung. Ganz allgemein kann man sagen, dass das wachsende Selbstbewusstsein in Asien, aber auch in Afrika oder Russland, die Arbeit für die westlichen Unternehmen nicht leichter macht. Denn sie werden verstärkt in ihrer betrieblichen Organisation Forderungen berücksichtigen müssen, wie die nach kulturangepasster Mitarbeiterführung, Vertriebspolitik etc. Und richtig spannend wird es, wenn es um eine Anpassung ethischer Unternehmensgrundsätze geht: da ist von Korruption bis zur Akzeptanz von Kinderarbeit alles zu finden. Die international tätigen Unternehmen sind nicht zu beneiden. Auf der einen Seite sollen sie mit ihrem Engagement Arbeitsplätze in einer hoch exportabhängigen Volkswirtschaft sichern. Auf der anderen Seite wachen gerade im Westen Presse und eine kritische Verbraucherschaft darüber, dass dies alles politically correct erfolgt. Diesen Spagat erfolgreich zu meistern wird in den nächsten Jahren die Hauptaufgabe westlicher Unternehmen darstellen.
EM: „Yes we can“ kann eigentlich kaum mehr jemand hören – es erinnert angesichts der Situation des Westens inzwischen eher an das Pfeifen im Walde. Mahbubani schreibt, der Westen verliert seinen Optimismus. Hat er Recht?
Seelmann: Wir wissen ja, dass es in Bezug auf die Optimismusausprägung auch im Westen Unterschiede gibt. Die politischen oder wirtschaftlichen Kräfte im Westen, die das Ausmaß der globalen Veränderungen erkannt haben, sind zumindest verunsichert. Denn wir waren ja in den letzten Jahrhunderten eher in der Durchsetzung unserer Werte und Lösungswege geübt, als darin, mit anderen starken Partnern friedlich verhandeln zu müssen. Der Paradigmenwechsel, der von einigen Wissenschaftlern prognostiziert wird, muss gar nicht so dramatisch ausfallen. Es geht zuerst einmal darum, die Schnittmengen interkulturellen Handelns - z.B. in der wirtschaftlichen Zusammenarbeit - für beide Partner befriedigend zu definieren. Und da werden sich die westlichen Menschen aufgrund ihrer Denkstrukturen, aber auch ihrer politischen Überzeugungen schwer tun. Manchmal denke ich ganz optimistisch, dass man in den USA die besten Voraussetzungen für die Bewältigung dieser Aufgabe geschaffen hat, indem man einen Präsidenten mit afrikanischen Wurzeln, Kenntnissen des Islams, aufgewachsen in den USA, Indonesien und Hawaii wählte.
EM: Vielleicht. Optimismus scheint jedenfalls längst die bevorzugte Bewusstseinsverfassung Asiens zu sein. Die Zahl der Menschen, die den westlichen Traum von einem bequemen Mittelschichtleben verfolgen, war noch nie so groß wie heute, schreibt Mahbubani. Wie kommt das?
Seelmann: Viele Menschen in Asien erleben eine historisch einmalige Situation. Noch nie hatten sie – auch in China! – so viele Möglichkeiten, ihre materielle Situation aus eigener Kraft zu verbessern. Wir sehen, dass viele Menschen in China, Südostasien, früher bereits in Japan, diese Chancen mit beiden Händen nutzen. In Indien profitieren bisher am meisten die privilegierten Schichten von der wirtschaftlichen Öffnung. Dort ist das Kastenwesen nach wie vor ein Hemmschuh für gleichberechtigte Teilnahme am wirtschaftlichen Fortschritt.
EM: Liegt es möglicherweise auch daran, dass Asiaten heute bereit sind, sich dafür mehr anzustrengen? Während im Westen oft Bildungsanforderungen zurückgenommen werden, um den Nachwuchs nicht überzustrapazieren, scheint dies in Asien kein Problem zu sein?
Seelmann: Vor allem in den konfuzianisch geprägten Ländern, also China, Taiwan, Korea, Japan, Singapur, wird eine gute Ausbildung der Kinder nach wie vor – oder sogar verstärkt – als Schlüssel für den wirtschaftlichen Erfolg gesehen. Und der Leistungsanspruch, aber auch die persönliche Leistungsbereitschaft der Kinder, kann überhaupt nicht mit dem verglichen werden, wie das im Westen größtenteils praktiziert wird. Ich bin aber auch gegen eine Glorifizierung des intellektuellen Leistungsvermögens in diesen asiatischen Ländern. Bestimmte Fähigkeiten wie eigenständiges, kreatives, innovatives Denken können aufgrund des Schulsystems nicht selbstverständlich erwartet werden. Ich wünsche mir auch hier, dass wir uns auf unsere Stärken besinnen und den Kindern vermitteln, wie viel Spaß Leistung macht. Wir sollten allerdings öfter an die auch im Westen bekannte Erziehungserfahrung denken: „Wer dich schont, betrügt dich!“
EM: Wenn der Geist der Demokratisierung stärker wird und immer mehr Menschen ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, werden sie in zunehmendem Maß die undemokratische Weltordnung, in der sie leben, in Frage stellen. Also die westliche. Diese Voraussage Mahbubanis gipfelt in dem Satz, dass „der Tag er Abrechnung“ kommen wird. Wie kann man sich diesen Tag vorstellen?
Seelmann: Ich bin keinesfalls davon überzeugt, dass überall die Demokratie ersehnt wird, wie das der Westen unterstellt. Warum soll z.B. die Mehrzahl der Chinesen an ihrer kommunistischen Regierung zweifeln? Und wenn ich mir die Wahlbeteiligung in Europa oder den USA ansehe, ebenso wie das politische Wissen von Normalbürgern, dann frage ich mich, wie weit auch hier Anspruch und Realität auseinanderklaffen. Manchmal tauchen in Mahbubanis Buch solche martialischen Töne auf. Ich hatte oft den Verdacht, dass diese Formulierungen eher den absatzsteigernden Zweck hatten, Aufmerksamkeit bei der westlichen Presse zu erzielen. Ich glaube nicht, dass man in Asien die „Abrechnung“ mit dem Westen anstrebt. Man will einfach die eigene wirtschaftliche, vielleicht auch politische Position stärken und weiter ausbauen. Der Westen kann so lange davon profitieren, so lange er für dieses Ziel nützlich ist und z.B. technologische Lösungen anbieten kann. Sorgen wir also dafür, dass uns viele Länder der Welt noch lange brauchen!“
EM: Angesichts der sanften Sicht Mahbubanis dürfen wir wohl zugrundelegen, dass damit nicht die Vergeltung für Hiroshima und Nagasaki gemeint ist. Aber vielleicht werden in nicht allzu ferner Zeit europäische Bildungsbürger beginnen, ihre Kinder auf Hochschulen in Peking, Singapur oder Mumbai zu schicken, statt wie gewohnt auf britische Internate oder auf amerikanische Colleges, wie unser Autor Rudolf Maresch geschrieben hat. Halten Sie das auch für realistisch?
Seelmann: Gegenwärtig sehe ich keine chinesischen oder indischen Eliteuniversitäten. Auf dieser Ebene dominiert nach wie vor der Westen. Ich würde aber unabhängig davon jedem Studenten einen Studienaufenthalt in Asien empfehlen, damit er die Dynamik und den Aufstiegswillen von zweieinhalb Milliarden Menschen hautnah erlebt. Gerade zukünftige Führungskräfte müssen frühzeitig begreifen, dass der Nabel der Welt nicht mehr nur im Westen liegen wird.
EM: Maresch meint, dass westliche Eltern dies nicht nur deshalb tun werden, weil sie dort eine bessere Ausbildung für ihre Sprösslinge erwarten, sondern auch, weil sie sich mehr und besser mit russischen, chinesischen oder indischen Lebensweisen oder Gewohnheiten bekannt und vertraut machen können. Ist das unsere ideale Bildungszukunft – lernen von Asien - und nicht mehr die bisher favorisierten westlichen Institute und Universitäten?
Seelmann: Es gibt viel, was Kulturen voneinander lernen können. Ich arbeite gerade an einem Buch, das sich auch mit dem Thema der Kulturintelligenz beschäftigt. Kulturintelligenz ist für mich eine Kombination aus interkultureller Kompetenz und zusätzlich der Fähigkeit, die Synergieeffekte unterschiedlicher Kulturen konkret nutzen zu können. Dies wird der entscheidende Wettbewerbsvorteil in der multipolaren Welt sein, nur so können wir alle Chancen nutzen. Ich rate also den jungen Leuten: schwärmt aus! Dieses Motto hat übrigens die chinesische Regierung für ihre chinesischen Unternehmen ausgegeben.
EM: Frau Seelmann, haben Sie herzlichen Dank für dieses Gespräch.
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Siehe auch: Gelesen „Die Rückkehr Asiens: Das Ende der westlichen Dominanz“.
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