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„Asiens Sprung in die Gegenwart“ von Kai Ehlers

Das neue Buch von Kai Ehlers trägt den Untertitel Russland – China – Mongolei – die Entwicklung eines Kulturraums „Inneres Asien“. Der Autor stellt ungewöhnliche Thesen auf und regt zum Nachdenken an. Seine Informationen hat er auf Reisen und bei Vor-Ort-Recherchen zwischen Wladiwostok und Ulanbator, zwischen Kasan und Irkutsk erlangt.

Von Hans Wagner

„Asiens Sprung in die Gegenwart“ von Kai Ehlers  
„Asiens Sprung in die Gegenwart“ von Kai Ehlers  

S chon die Wahl des Begriffes „Inneres Asien“ für einen neu entstehenden Kulturraum lässt aufhorchen. Das ist nicht die übliche Darstellung der Tigerstaaten und der chinesischen Wirtschaftsmacht, sondern die Beschreibung von etwas Neuem, das sich zwischen Russland, China und Zentralasien entwickelt. Nicht zuletzt auch in Form von neuen Wanderungsbewegungen, wie der Autor gleich eingangs erläutert. Untersucht hat diese Bevölkerungswanderung Professor Viktor Djatlov von der Universität Irkutsk. Auf ihn und sein Institut zur Erforschung der Migration im asiatischen Teil Russlands geht auch der Begriff des Kulturraums „Inneres Asien“ zurück.

Bei den Wanderungsbewegungen handelt es sich vor allem um chinesische illegale Zuwanderung, die „sowohl in der Mongolei als auch in den russischen Grenzgebieten“ durchaus Ängste und Befürchtungen  wecke. Zum Beispiel entstehe Ärger über die chinesische Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Die Menschen beschwören laut Autor das Bild vom „chinesischen Krokodil“, das hinter der Grenze lauere und nur darauf warte, die Einheimischen „zu verschlingen und als Chinesen wieder auszuspucken“.

Dennoch gewinne der Raum „Inneres Asien“ bereits an Kontur, auch wenn er noch nicht Realität sei. Ehlers: „Er ist eine Möglichkeit, eine historische Chance, die sich aus dem Ende der bipolaren Erstarrung der Welt ergibt, welche das letzte Jahrhundert umklammert hielt.“

Der Inhalt ist in Kurzkapiteln gut lesbar aufbereitet

Die einzelnen Kapitelüberschriften der aktuellen Neuerscheinung geben den Inhalt ziemlich gut wieder. Sie lauten: Kulturraum „Inneres Asien“: Eine historische Chance – „Inneres Asien“: Ein Name für ein neues Phänomen - Die Auflösung der sowjetischen Klammer – Eine neue Kolonisation Sibiriens? - Altes China: Beobachtungen zur chinesischen Frage – Ausflug nach China – Junges Russland – Ein Entwicklungsland neuen Typs? Betrachtungen zu Russlands Überlebenskräften – Einwanderungsland Sibirien? Beispiel Irkutsk – Balgowèschtschensk: eine Brücke über den Amur? – Wladiwostok : Vorposten Europas? – Expandierendes Chaos aus Europa – Europäische Machtinteressen: IDOGATE und TRACECA – Der TRACECA-Korridor – Imperiale Globalisierung der USA – Russland in der Djihad-Falle? Ein Interview – Neutralität der Mogolei – Ein Beitrag zur De-Eskalation: Internationaler Kongress der Mongolisten in Ulaanbaatar 2002 - Die ursprüngliche Ökologie des nomadischen Lebens: Stressabbau durch Nomadisieren – Professor Biras Stichwort: Tengrismus und Globalisierung – Die asiatisch-arabische Flanke – Religion des Marktes oder Markt der Religionen? – Treibhaus der Evolution.

Wladiwostok – ein Vorposten Europas

Es kommen viele Kenntnisse des Autors zutage, über den Kulturraum, den er behandelt. So zum Beispiel über die Gründung von Wladiwostok nicht etwa durch russische Kolonisten, sondern durch französische Händler. Ehlers beschreibt „ein Stadtbild europäischen Zuschnitts: Nicht russische Architektur – Holzhäuser, Kuppeln und ähnliches -, sondern mitteleuropäischer Baustil prägt das Zentrum. Erst im weiteren Umkreis zieht sich die typische Plattenbebauung der neueren sowjetischen Zeit die umgebenden Hügel hinauf. Der Hafen erinnert eher an Bordeaux oder Hamburg. Von Wladiwostok ist San Francisco schneller zu erreichen als Paris, Berlin oder Madrid. Der Westen liegt im Osten, der Osten im Westen.“

Die Einwohner der Stadt hätten sich schon zur Sowjetzeit als Vorposten Europas in Asien gefühlt und so verstünden sie sich auch heute noch. Heute sei die Stadt bestrebt, sich „zur vierten Hauptstadt Russlands“ zu mausern, neben Moskau, St. Petersburg und Kasan.  

Schonungslos ist die Beschreibung der Rolle der Europäischen Union und ihrer technischen Hilfsprogramme im „Raum Inneres Asien“. Ehlers beschreibt sie mit dem Begriff „Expandierendes Chaos“ und liefert dafür eine Reihe von Beispielen. Insgesamt ergibt sich für den Autor „eine außerordentlich widersprüchliche und uneinheitliche Politik, in der nationale Konflikte im eurasischen Raum – weit entfernt von einer verlässlichen demokratischen Linie – einmal geschürt, zum anderen Mal abgewiegelt werden.“

Das Fazit des Autors und des Verlages auf der Buchrückseite liest sich gleichsam wie eine Präambel zur Verfassung für den beschriebenen Raum: „Während die westliche Welt in Depression versinkt, vollzieht sich im Inneren Asiens ein rasanter Umwälzungsprozess, bei dem ein neuer Wirtschafts- und Kulturraum östlicher Prägung erste Konturen gewinnt. In Rückbesinnung auf traditionelle Werte und Lebenspraktiken eröffnen sich hier fernab der staatlichen Machtzentren neue Modelle der wirtschaftlichen Kooperation und des Zusammenlebens unterschiedlicher Völker und Kulturen.“

Kai Ehlers hat ein gut lesbares und informatives Büchlein geschrieben. Hilfreich wäre angesichts der Informationsfülle ein Sach- und Personenregister gewesen, aber leider hat es nur zu den obligatorischen „Anmerkungen“ gereicht.

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Rezension zu: „Asiens Sprung in die Gegenwart“ von Kai Ehlers, Pforte Verlag Dornach, 2006, 120 S., 9,00 Euro, ISBN 3-856-36189-8.

Asien Rezension

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