09.08.2023 13:11:56
INDONESIEN
Von Wilfried Arz
Joko Widodo Foto: Republic of Indonesia |
ndonesien steckt in der Krise. Die Leistungsbilanz von Staatspräsident Susilo Yudhoyono (64) bietet nach dessen zehnjähriger Amtszeit (2004-2014) ein durchwachsenes Bild. Verlangsamtes Wachstum (unter sechs Prozent) der auf Rohstoffexporte fixierten Wirtschaft, eine Inflationsrate von sieben Prozent (2013) und der Wertverlust der indonesischen Rupiah von 20 Prozent gegenüber dem US-Dollar (2013) trüben die Wirtschaftslage. Auch bei der Armutsbekämpfung gibt es keine Erfolge: 40 Prozent der 240 Millionen-Bevölkerung müssen von nur zwei US-Dollar/Tag überleben (Weltbank 2011). Korruption bleibt ein chronisches Problem: Transparency International positionierte Indonesien auf dem Korruptionsindex 2013 auf Platz 114 von 177 erfassten Staaten.
Innenpolitisch steht es in Indonesien ebenfalls nicht zum Besten. Der im Westen global als drittgrößte Demokratie (nach Indien und USA) gelobte Inselarchipel Südostasiens sorgt mit schweren Menschenrechtsverletzungen (West-Papua) und religiösen Konflikten (Muslime/Christen) für Negativschlagzeilen. Indonesiens Wählerschaft hat das Vertrauen in die politischen Elite verloren. Hoffnungen auf neue Gesichter wurden im Wahlkampf nur teilweise erfüllt. Indonesiens Oligarchie hält weiter die Zügel fest in der Hand. Neue Perspektiven auf Veränderungen in Wirtschaft und Politik sind nicht in Sicht.
Neue Wahlgesetze reduzierten die zum Wahlkampf zugelassenen Parteien: Waren es 1999 noch 48 Parteien, traten 2014 nur noch 12 Parteien an. Auch die Einführung einer 3,5 Prozent-Hürde ist neu. Zudem können nur Parteien oder Koalitionen mit mindestens 20 Prozent der Parlamentssitze oder 25 Prozent der Wählerstimmen im Juli 2014 einen Kandidaten für das Amt des Staatspräsidenten aufstellen. Nach ersten Hochrechnungen haben alle drei großen Parteien dieses verfassungsrechtlich festgelegte Kriterium verfehlt. Überraschend hingegen das gute Abschneiden muslimischer Parteien: diese erzielten zusammen über 30 Prozent aller Stimmen. Hinter den Kulissen hat das Geschacher um regierungsfähige Koalitionsbündnisse bereits begonnen.
Wahlen verschlingen hohe Kosten - auch in Indonesien. Eine drastische Kürzung der Wahlkampffinanzierung aus dem Staatshaushalt öffnete Indonesiens Parteien dem Einfluss wirtschaftlicher Interessengruppen erwartungsgemäß Tor und Tür. Aburizal Bakrie von der Golkar-Partei gilt als einer der reichsten Männer Indonesiens und will im Juli für das Amt des Staatspräsidenten kandidieren. Seit Jahren tummeln sich milliardenschwere Wirtschaftsvertreter in der Landespolitik und sichern sich damit die Durchsetzung eigener Interessen. Dies wird in Indonesien wohl auch in Zukunft so bleiben.
Aburizal Bakrie Foto: A. Irianto/Wikipedia |
Indonesiens politische Landschaft wird von drei großen Parteien dominiert: der Golkar des Tycoon Aburizal Bakrie (67), der Gerindra von Ex-Armee-General Prabowo Subianto (62) und der PDI-P von Megawati Sukarnopurti (67), Tochter des Staatsgründers Sukarno und 2001-2004 Staatspräsidentin Indonesiens.
Golkar wurde bereits unter dem Diktator Suharto gegründet, um dessen autokratischer Herrschaft ein demokratisches Feigenblatt zu verpassen. Heute kontrollieren weiterhin Vertreter der alten (und neuen) Oligarchie die Partei. Parteivorsitzender ist derzeit Aburizal Bakrie, mit 2,42 Milliarden US-Dollar Vermögen (2013) die Nummer sechs unter Indonesiens Reichen.
Gerindra wurde 2008 von Prabowo Subianto gegründet und durch dessen schwerreichen Bruder finanziert. Der ehemalige Armee-General leitete in der Regierungszeit des korrupten Autokraten Suharto (1967-1998) die berüchtigte militärische Sondereinheit Kompassus, der in Ost-Timor und Jakarta (1998) im Zuge von Gewaltexzessen schwere Menschenrechtsverletzungen zur Last gelegt werden. Subianto wird deshalb die Einreise in die USA verweigert.
PDI-P wurde 1999 kurz nach der politischen Entmachtung Suhartos gegründet und beruft sich auf nationalistische Visionen von Indonesiens erstem Staatspräsidenten Sukarno. Die Partei wird von Frau Megawati Sukarnoputri und ihrer Familie kontrolliert. Megawati steht als Matriarchin nicht nur im Zentrum ihrer Partei. Ohne Megawati läuft in Indonesiens Innenpolitik nichts.
Prabowo Subianto Foto: Dirgayuza /Wikipedia |
Indonesiens Direktwahl zum Staatspräsidenten wird im Juli voraussichtlich von drei Kandidaten bestimmt werden: dem Ex-Armee-General Prabowo Subianto, dem Milliardär Aburizal Bakrie und Joko Widodo (52), seit 2012 Gouverneur der Zehn-Millionen-Hauptstadt Jakarta. Während Subianto und Bakrie Interessen der etablierten Elite vertreten, betritt mit Widodo erstmals ein Außenseiter aus der Mittelklasse Indonesiens nationale politische Bühne.
Prabowo Subianto (62) gilt als eine politisch einflussreiche Schlüsselfigur in Indonesien. Durch Heirat mit einer Tochter des Diktators Suharto wurden seine Verbindungen zu dessen autokratischer Machtclique gefestigt. Subianto absolvierte in den USA militärische Spezialausbildungen (1980 Fort Bragg, 1985 Fort Branning). Im Wahlkampf bediente sich Subianto anti-chinesischer Rhetorik und fordert außenpolitisch eine neue China-Politik mit konfrontativen Akzenten. Politische Beobachter neigen deshalb zu der Schlussfolgerung, Subianto sei Washingtons Wunschkandidat für das Präsidentenamt.
Aburizal Bakrie (67) schneidet als potentieller Kandidat für das Amt des Staatspräsidenten in Umfragen deutlich schlechter ab als seine beiden Konkurrenten. 2004-2009 bekleidete er zwei Ministerämter (Wirtschaft, Wohlfahrt) in der Yudhoyono-Regierung, 2006 war eines seiner Unternehmen in einen Umweltskandal in Ost-Java verstrickt. Der von Aburizal geleitete Bakrie-Konzern wurde von seinem Vater in der Zeit von General Suharto zu einem der größten Unternehmen Indonesiens entwickelt.
Joko Widodo (52), Jakartas Gouverneur, gilt im In- und Ausland als Hoffnungsträger und „Obama Indonesiens“. Besonders in armen Bevölkerungskreisen genießt er große Popularität. Kritische Beobachter bewerten Widodo gleichwohl zurückhaltend. Handlungsspielräume in Politik und Wirtschaft bleiben auch für einen potentiellen Staatspräsidenten Widodo begrenzt.
Im Februar 2012 enthüllte das politische Wochenmagazin Tempo, Widodos Wahl zum Gouverneur Jakartas sei von einflussreichen Vertretern der etablierten Oligarchie unterstützt und finanziert worden. Wird der von Korruptionsaffären (bislang) unbelastete Widodo als „Sauberman“ ins politische Rampenlicht gerückt, um von Indonesiens korrupten und oligarchischen Herrschaftsstrukturen abzulenken?
Ganz Südostasien durchläuft eine Phase turbulenter politischer Entwicklungen. Offene Konfrontation zwischen Regierung und Opposition bestimmte insbesondere Kambodscha und Thailand. Konflikte eskalierten dort zu Massendemonstrationen. Manipulierte Wahlen lösen zunehmend Widerstand in Kreisen junger Wähler aus. Diese nutzen digitale Vernetzungsstrukturen sozialer Medien für politischen Widerstand und setzen etablierte Regierungen unter Druck. Um Demokratie ist es in Südostasien nicht sonderlich gut bestellt. Herrschaftssysteme reichen von autoritären Regimen (Brunei, Vietnam, Kambodscha, Laos) über halbautoritäre (Myanmar, Singapur, Malaysia) bis zu schwachen Demokratien (Thailand). Die formale Funktionsfähigkeit einer konsolidierten Demokratie wird im Westen nur den Philippinen und Indonesien bescheinigt.
In Bangkok/Thailand zielten Massendemonstrationen auf den Sturz der korrupten Regierung unter Yingluck Shinawatra. Die im Februar 2014 vorgezogenen Wahlen wurden von der Opposition boykottiert und zwischenzeitlich annulliert, die Bevölkerung bleibt politisch stark polarisiert. In Malaysia sorgten im Mai 2013 Wahlen für erhebliche Stimmenverluste der Regierungspartei OMNO unter Premierminister Najib Razal (mit nur 47 Prozent Stimmen erlangte Razal dennoch 60 Prozent der Parlamentssitze).
Tendenziell schwindende Akzeptanz der Wählerschaft gegenüber der Regierung auch in Singapur, das seit 1963 von einer elitären Staatsbürokratie autokratisch regiert wird. Innenpolitische Krisenstimmung in Kambodscha: dort lösten 2013 massive Wahlfälschungen des seit 25 Jahren regierenden Autokraten Hun Sen offene Konfrontation mit der Opposition aus. Ebenfalls unter Druck stehen kommunistische Regime in Vietnam und Laos. Forderungen nach Meinungsfreiheit und demokratischer Verfassung werden in Vietnam verstärkt im Internet artikuliert. Regierungskritischen Bloggern drohen Verhaftung und hohe Gefängnisstrafen.
Innerhalb der zehn ASEAN-Staaten Südostasiens nimmt Indonesien qua seiner großen Bevölkerung (240 Millionen), Wirtschaftskraft (fast 900 Milliarden US-Dollar) und Ressourcenausstattung (Rohstoffe) eine zentrale Stellung ein. Als Produktionsstandort transnationaler Konzerne (Japan, USA, EU) gilt Indonesien als gut positioniert - nicht zuletzt aufgrund niedriger Durchschnittslöhne von nur 211 US-Dollar/Monat (im Vergleich: Malaysia 274, Thailand 300). Die Konkurrenz um ausländische Direktinvestitionen hat sich dennoch verschärft. Innenpolitische Krisen, die von nationalen Regimen nicht unter Kontrolle gehalten werden können (Thailand!), veranlassen Investoren zur Umlenkung von Neuinvestitionen an alternative Produktionsstandorte: Indonesien und Vietnam.
Als Inselstaat im Schnittpunkt zwischen Indischen Ozean und Pazifik ist Indonesien von aktuellen geopolitischen Spannungen zwischen USA und China im West-Pazifik direkt betroffen: täglich passieren Tankerflotten aus dem Mittleren Osten die Meerenge von Malakka zwischen Sumatra und Malaysia. Japans, Südkoreas und Chinas Energieversorgung (Erdöl, Gas) verlangt reibungslosen Nachschub. Gleichwohl belasten territoriale Souveränitätskonflikte im Südchinesischen Meer Beziehungen Indonesiens zu China, aber auch mit dem Nachbarland Malaysia.
Bislang hat Indonesien keine aktive Führungsrolle innerhalb der ASEAN-Staaten übernommen. Während sich Vietnam und die Philippinen offen gegen Ansprüche Beijings auf Inselgruppen im Südchinesischen Meer wehren, reagiert Jakarta bislang zurückhaltend und verzichtet auf einen außenpolitischen Konfrontationskurs gegen China. Indonesiens Wirtschaftsbeziehungen mit Chinas sind eng (Handelsvolumen 2013: 66 Milliarden US-Dollar). China importiert insbesondere indonesische Rohstoffe. Zudem wird Indonesiens Wirtschaft weitgehend von seiner chinesischen Minderheit kontrolliert. An einer anti-chinesischen Politik ist Jakarta nicht interessiert.
Amerikas geopolitischer Strategiewechsel in der Außen- und Militärpolitik vom Mittleren Osten zum West-Pazifik zielt auf Einkreisung Chinas. In diesem Kontext wird Indonesien von Washington als Bündnispartner umworben. Militärische Zusammenarbeit wird von dem US-Projekt eines Transpazifischen Freihandelsabkommens (TPP) flankiert, das wichtige ASEAN-Staaten einschließen, China jedoch ausschließen soll. US-Konzerne im Rohstoff- und Energiesektor sind in Indonesien bereits gut positioniert: Freeport-McMorran in Papua (Kupfer, Gold), Newmont Mining auf Sumbawa (Kupfer, Gold) und ExxonMobil in Aceh/Sumatra (Erdgas).
Auf politischer Ebene werden die Beziehungen Jakarta-Washington allerdings getrübt: jüngste Enthüllungen im NSA-Abhörskandal offenbarten Spionageaktivitäten der USA (und Australiens) auch in Indonesien. Jakartas politische Elite steht unter Beobachtung. Einmischungen der USA in Indonesiens Innenpolitik sind kein neues Thema, wie die Entmachtungen der kooperationsunwilligen Generäle Sukarno (1965) und Suharto (1998) belegen. Washington rechnet 2014 offenbar mit einem Wahlsieg des außenpolitisch unerfahrenen Präsidentschaftskandidaten Widodo: im April besuchte US-Botschafter Robert Blake den Hoffnungsträger Joko Widodo zu einem politischen Meinungsaustausch. Der in Jakarta anstehende Machtwechsel wird anfänglich Euphorie auslösen, der Ernüchterung folgen wird. “Indonesiens Obama” Joko Widodo wird für Kontinuität sorgen - wie sein Amtskollege Barak Obama seit 2009 in den USA.
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Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler in Bangkok/Thailand.
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