Die Zukunft der Mongolei: zwischen Traditionen und Reformen

Die Zukunft der Mongolei: zwischen Traditionen und Reformen

Über den innermongolischen Disput zwischen Traditionalisten und westlichen Radikalreformern

Von Kai Ehlers

EM - Welchen Stellenwert soll oder kann das hochentwickelte nomadische Leben der Mongolei zukünftig im Prozeß der Anpassung an die Globalisierung einnehmen? In dieser Frage sind sich Asienforscher und Mongolei-Spezialisten uneinig. In der Diskussion um die zukünftige Rolle der Mongolei, einem Land mitten im Herzen Eurasiens, gibt es zwei sich gegenüberstehende Standpunkte.

Hat der Nomadismus eine Zukunft?

Die einen zitieren den englischen Historiker und Staatstheoretiker Thoynbee (1889-1975), der dem Nomadentum zwar eine hohe Bedeutung für die Geschichte der Menschheit beimißt, der aber schon für das letzte Jahrhundert die Zeit gekommen sah, da nomadische Kultur generell in der modernen Zivilisation aufgehen werde. Kurz gesagt: Die Zeit des Nomadisierens sei vorbei, so Thoynbee. Was noch an nomadischen Kulturen existierte, allen voran die zentralasiatischen, im besonderen die mongolische, betrachtete er als auslaufendes Modell, das der entstehenden städtisch-industriellen Zivilisation weichen müsse.

Töne à la Thoynbee hört man heute keineswegs nur von Forschern aus dem Westen, aus Rußland oder aus China. Auch von mongolischen Wissenschaftlern werden solche Positionen vertreten: Die Mongolei, fordern sie, müsse die nomadische Art der Viehwirtschaft durch stationäre Stallhaltung ablösen, wenn sie auf dem globalen Markt bestehen und nicht zwischen den großen Nachbarn China und Rußland als Rohstoff- oder Land-Reservoir verbraucht werden wolle.

Eine Modernisierung dieser Art entspräche im übrigen auch den Vorgaben des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Weltbank und verschiedener Entwicklungsbanken, die über die Mongolei dasselbe Raster einer „effektiven Reformpolitik“ legen, wie sie es über Rußland oder irgendein anderes „Entwicklungsland“ gelegt haben. Und dies ungeachtet dessen, ob die zugrundegelegten Erfolgsraster auf das jeweilige Land anwendbar sind oder nicht. Mag man das im Falle Rußlands noch für strittig halten – hier in der nach-sowjetischen Mongolei ist offensichtlich, daß insbesondere die Bedingungen des nomadischen Lebens nicht mit den Vorgaben des IWF vereinbar sind.

Den Vertretern einer schroffen Modernisierung stehen naturgemäß ebenso schroffe Traditionalisten gegenüber, die nomadisches Leben, nachdem es durch die sowjetische Modernisierung und Zwangsurbanisierung bereits von 80 Prozent auf 30 Prozent der Bevölkerung reduziert wurde, heute in seiner ursprünglichen Reinheit wiederherstellen wollen. Dabei stellt sich natürlich sofort die Frage, wo diese ursprüngliche Reinheit ihre Wurzeln hat. Einige Mongolen gehen bis zu den Hunnen zurück. Andere belassen es bei den von Tschingis Chan überlieferten Regeln.

Kongress der Mongolisten in Ulan Baator und der 840. Geburtstag Tschingis Chans

Ihre gegensätzlichen Auffassungen trugen die Verfechter westlicher Reformen bzw. einer Rückbesinnung auf die mongolischen Traditionen während des 8. Kongresses der Mongolisten vor. Etwa vierhundert Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus zweiundzwanzig Ländern trafen sich zu diesem Anlaß im August dieses Jahres in der mongolischen Hauptstadt Ulan Baator. „Die Mongolei zwischen den Welten“, lautete das Thema der Veranstaltung.

Ein ganzer Tag des siebentägigen Kongresses war dem offiziellen Gedenken an den 840. Geburtstag Tschingis Chans gewidmet. Staatspräsident Nazagiln Bagabandi höchst persönlich und eine ganze Reihe weiterer bekannter Persönlichkeiten der Mongolei hielten an diesem Tag lange Reden zu Ehren des archaischen Reichsgründers. Tschingis Chan ist neben der nomadischen Kultur das zweite identitätsstiftende Element in der heutigen Mongolei.

Vertreter traditionalistischer Positionen sind nicht selten schon an ihrer Kleidung zu erkennen. In prächtigen Fest-Dels, den praktischen Umhängemänteln der Nomaden, in malerischen Spitzhüten und Stiefeln beleben sie – unter ihnen nicht wenige westliche Wahlnomaden - die ansonsten eher europäisch-konservative Kleiderordnung des Kongresses.

Die goldene Mitte zwischen Radikalreformern und Traditionalisten

Seriöse Positionen, will sagen, zukunftsfähige Positionen liegen zwischen den Polen der Radikalreformer und der Traditionalisten. Die Mehrheit der Mongolei-Forscher ist auf dieser mittleren Linie zu finden: Etwas Drittes müsse entstehen, meinen sie, einfach deshalb, weil es nicht anders gehe, weil die natürlichen Bedingungen keine Landwirtschaft des Siedlungstyps zuließen, weil die nomadische Kultur für die mongolische Bevölkerung lebenserhaltend sei, weil die Mongolei zwischen den Siedler-Imperien China und Rußland gar keine andere Wahl habe, als ihre Andersartigkeit zu erhalten, wenn sie nicht untergehen wolle, weil die Mongolei nicht an die Spitze der Globalisierung spurten könne, aber auch nicht in die Steinzeit zurückfallen dürfe.

Bleibt die Frage: Wie? Zehn Jahre Schock-Privatisierung zeitigten in der Mongolei ähnliche Phänomene wie in Rußland: Nach dem Überschwang einer übertriebenen Privatisierung, die zu erheblichen sozialen Ungleichgewichten führte, setzt jetzt eine Etappe der Rückbesinnung auf kollektive Formen der Bewirtschaftung ein. Ansätze von Kooperativen bilden sich, in denen sich drei, vier oder fünf Hirten-Familien zusammentun, um die Steppen gemeinsam zu beweiden und die Weiterverarbeitung der tierischen Produkte und deren Verkauf sowie die Anschaffung der dafür notwendigen neuen Technik, Infrastruktur und sogar Ausbildung gemeinsam zu organisieren. Diese Entwicklung beginnt erst. Hier liegt die Perspektive einer Modernisierung des nomadischen Lebens ohne Liquidierung der nomadischen Kultur.

Mehr von Kai Ehlers finden Sie unter http://www.kai-ehlers.de.

Asien Globalisierung

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