„Ein Zeitalter, das von Asien geprägt würde, hätte Krisen, Konflikte und Spannungen mit weltweiten Auswirkungen zur Folge.“EURASIEN

„Ein Zeitalter, das von Asien geprägt würde, hätte Krisen, Konflikte und Spannungen mit weltweiten Auswirkungen zur Folge.“

Prof. Dr. Rolf J. Langhammer, Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, über die Bedeutung der asiatischen Wirtschaftsentwicklung für Europa und für den eurasischen Kontinent.

Von Hans Wagner

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Prof. Dr. Rolf J. Langhammer, Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft 
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urasisches Magazin: Wie könnte sich die EU eines mittleren oder fernen Tages gegenüber den asiatischen Volkswirtschaften entwickeln - ist die Ausbildung einer riesigen eurasischen Wirtschaftszone denkbar, der sich nach dem Türkeibeitritt auch Rußland, China, Indien, Japan anschließen?

Rolf J. Langhammer: Aus gutem Grunde verharrt die Ökonomie in äußerster Zurückhaltung vor Stellungnahmen zu mittel- und langfristigen Visionen. Sie werden durch politische Entwicklungen und Ereignisse geprägt, auf die die eher kurzfristig ausgerichteten Entscheidungen über Investitionsstandorte und zum Handelsaustausch keinen Einfluß haben. Aus dieser Sicht heraus ist es eher wahrscheinlich, daß sich alle Mitglieder der Welthandelsorganisation auf den Abbau von Zöllen einigen und somit die ganze Welt zu einem zollfreien Wirtschaftsraum wird, als daß sich der eurasische Kontinent auf eine formale Freihandelszone oder Zollunion hin bewegt. Derartige Gemeinschaften verlangen ein Mindestmaß an politischer und wirtschaftlicher Homogenität, die bereits innerhalb Asiens nicht gegeben ist und erst recht illusorisch erscheint, wenn es sich auf den gesamten eurasischen Kontinent bezieht.

„Es ist kein Wunder und auch kein Schaden, daß sich regionale Integrationsgemeinschaften in Asien bisher kaum durchgesetzt haben.“

EM: In Asien selbst soll aber nach den Bekundungen der ASEAN-Staaten eine große Wirtschaftsgemeinschaft entstehen – warum gestaltet sich deren Geburt so schwierig?

Langhammer: Es ist kein Wunder und auch kein Schaden, daß sich regionale Integrationsgemeinschaften in Asien bisher kaum durchgesetzt haben. Die Sorge, in einer derartigen Wirtschaftszone von den Giganten Indien bzw. China überrollt zu werden, hat die kleineren Staaten davon abgehalten, dem europäischen Beispiel oder dem Beispiel der NAFTA zu folgen.

EM: Könnten nicht die kleineren Länder ohne die Giganten Indien und China zunächst eine eigene Wirtschaftszone bilden oder macht das keinen Sinn?

Langhammer: Theoretisch wäre es leichter, eine Wirtschaftszone zu bilden zwischen Ländern ähnlichen Einkommensniveaus und ähnlicher Marktgröße, so wie dies die ASEAN-Staaten in ihrer ursprünglichen Konzeption vorhatten. Man muß dann allerdings sehen, daß diese Staaten zumeist einen erheblich größeren Teil ihres Gesamthandels mit der Welt und nicht untereinander abwickeln, so daß die positiven Effekte auf die Wirtschaft dieser Länder eher von der Liberalisierung des Handels mit Drittländern als von der Liberalisierung des eigenen Handels untereinander ausgehen. Dieser Aspekt liegt den Ökonomen sehr am Herzen, da es sich gezeigt hat, daß kleine Gemeinschaften mit einem niedrigen Anteil am Welthandel und mit einem niedrigen intraregionalen Handel an ihrem Gesamthandel keine Effizienzgewinne erzielen können. Es gibt aber noch einen weiteren Aspekt. Wenn es darum geht, im Konzert der großen Länder bzw. Integrationsgemeinschaften mitzureden, spielen kleinere Gemeinschaften sowie ASEAN keine große Rolle. Man kann also mit kleinen Gemeinschaften keine Verhandlungsmacht gegenüber den USA oder der EU beispielsweise aufbauen. Der erste Aspekt ist aber für den Ökonomen der eindeutig wichtigere.

EM: Könnte es aufgrund der Dynamik, die in den asiatischen Volkswirtschaften herrscht, dazu kommen, daß Europa wirtschaftlich zu einem Anhängsel Asiens wird - analog zur geographischen Situation?

Langhammer: Ob sich Europa zu einem wirtschaftlichen Anhängsel Asiens entwickelt, ist überhaupt nicht auszumachen. Zur Zeit sind die Handelsbeziehungen innerhalb Asiens und im pazifischen Raum mit den USA intensiver als zwischen Asien und Europa, und dies hängt im wesentlichen mit der fehlenden wirtschaftlichen Strahlkraft Europas zusammen. Sollte es Europa gelingen, doch noch bis zum Jahre 2010 die Lissabon-Strategie der EU aus dem Jahr 2000 umzusetzen und zur wissensintensivsten Region der Welt zu werden, könnte der europäische Kontinent wieder eine eigene Wirtschaftsdynamik gewinnen, die ihn unabhängiger von den Entwicklungen in Asien und den USA macht als es zur Zeit der Fall ist.

„Der Sprung von der Freihandelszone zur Zollunion ist mit Ausnahme der EU bislang keiner Gemeinschaft in der Welt geglückt.“

EM: Wird die angestrebte Freihandelszone der ASEAN-Staaten, die den größten gemeinsamen Markt der Erde bilden würde, die wirtschaftlichen Gewichte auf der Welt neu bestimmen?

Langhammer: Die ASEAN-Integration hat sich bei ihrer ersten harten Bewährungsprobe, der Asienkrise von 1997, als Papiertiger erwiesen. Auch heute sieht es nicht danach aus, als hätte sich daran viel geändert. Die Kernfreihandelszone aus den zehn ASEAN-Mitgliedsstaaten ist wegen der Entwicklungsrückstände der indochinesischen Staaten Laos, Myanmar, sowie Kambodscha und Vietnam noch lange nicht vollendet. Geplante Verhandlungen mit den nordostasiatischen Staaten - allen voran China – werden durch die bereits erwähnte Sorge der ASEAN-Staaten erschwert, in einer gemeinsamen Wirtschaftszone von dem Wirtschaftsriesen China dominiert zu werden. Selbst wenn in ferner Zukunft eine Freihandelszone verwirklicht würde, wäre sie immer noch ein Beispiel für eine sogenannte „flache“ Integration, d.h. kein Handelsblock mit einer gemeinschaftlichen Handelspolitik gegenüber Drittländern. Das entscheidende Kriterium für eine wirkungsvolle institutionalisierte Integration à la Europa ist der Sprung von der Freihandelszone zur Zollunion, d.h. der Sprung von der nationalen Souveränität zu gemeinschaftlicher Souveränität in der Handelspolitik gegenüber Dritten. Dieser Sprung ist mit Ausnahme der EU bislang keiner Gemeinschaft in der Welt geglückt, und es sieht auch nicht danach aus, als ob die Asienregion die erste wäre, der dies außerdem gelingen könnte. Anstatt die regionale Integration in Asien voranzutreiben, ist es aber auch möglich, Handelsbarrieren auf multilateraler Ebene im Rahmen der Welthandelsorganisation meistbegünstigend abzubauen. Dies wäre für die teilnehmenden Länder und auch für die Welt insgesamt die bessere Lösung.

EM: Weshalb tun sich die Länder Süd- und Südostasiens so schwer, eine gemeinsame Handelszone zu bilden?

Langhammer: Ein Charakteristikum der ASEAN-Integration ist, daß Zeitpläne nie so eingehalten worden sind wie in Europa. Viele Ziele stehen auf dem Papier, entbehren aber einer systematischen Umsetzung. Auch wenn letztlich Zölle in Ost- und Südostasien abgebaut würden, verblieben gewichtige nichttarifäre Handelshemmnisse, die erst mit der Schaffung einer Zollunion beseitigt werden könnten. Man sollte sich daher auf Zeithorizonte bis 2020 einrichten, wie sie ja auch bei der Asiatisch-Pazifischen Wirtschaftskooperation (APEC) unter Einschluß der östlichen Anrainerländer des Pazifiks für alle Staaten einschließlich der ärmeren als Freihandelsziel, der sogenannten Bogor Deklaration, genannt wurden.

„Die Dominanz der USA in der Nachkriegszeit war eher politisch als ökonomisch bestimmt“

EM: Gehen wir also doch nicht einem asiatischen Zeitalter entgegen, wie schon gelegentlich prognostiziert wurde?

Langhammer: Begriffe wie asiatisches, amerikanisches oder europäisches Zeitalter sagen einem Ökonomen wenig. Die Dominanz der USA in der Nachkriegszeit war eher politisch als ökonomisch bestimmt, und solange nicht die asiatischen Länder parallel zur wirtschaftlichen Integration auch Fortschritte in der politischen Integration machen, können sie nicht die Welt im Sinne eines von ihnen geprägten Zeitalters bestimmen. Konflikte wie zwischen Indien und Pakistan oder China und Taiwan, aber auch innerstaatliche Schwächen wie in Indonesien oder den Philippinen könnten im Gegenteil eher die Sorge nähren, ein Zeitalter, das von Asien geprägt würde, hätte Krisen, Konflikte und Spannungen mit weltweiten Auswirkungen zur Folge. Asiaten, die selber sehr pragmatisch und kurzfristig handeln, würden wahrscheinlich ganz andere Probleme aufführen, die ihnen auf den Nägeln brennen als die Frage, ob ihre Region einmal einem Zeitalter seinen Namen geben dürfte.

EM: Welche Probleme sind das, die den Asiaten vor allem auf den Nägeln brennen?

Langhammer: Es sind unterschiedliche Probleme. Da ist zunächst einmal das Problem der absoluten Armut. Zwar ist die Zahl der Armen, die von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen, in Asien dank der Reform in China, aber auch in Indien, zurückgegangen. Dennoch ist die absolut größte Zahl der weltweit Armen immer noch in Asien beheimatet. Die fortgeschrittenen asiatischen Staaten müssen immer wieder fürchten, daß ihr Wirtschaftswachstum durch Krisen auf den nationalen und internationalen Finanzmärkten zurückgeworfen wird. Es können sich also leicht bei raschem wirtschaftlichen Wachstum spekulative Blasen in den Vermögensbewertungen auf Aktien- und Grundstücksmärkten bilden, die bei veränderten wirtschaftspolitischen Rahmenbedingungen möglicherweise den Anlaß für einen Krisenausbruch bilden. Alle asiatischen Länder werden von Umweltproblemen und wachsenden sozialen Spannungen zwischen verschiedenen Ethnien, Religionsgruppen, aber auch Einkommensgruppen heimgesucht. Angesichts fehlender sozialer Sicherungssysteme und der hohen Bedeutung privatwirtschaftlicher Eigeninitiativen können sich soziale Spannungen aufbauen, die nicht immer durch hohes Wachstum, also durch die Besserstellung aller, im Vergleich zu früheren Perioden, kompensiert werden können. Letztlich hält die Weiterentwicklung der institutionellen Rahmenbedingungen und der Humankapitalbildung häufig nicht mit dem raschen wirtschaftlichen Wachstum Stand, so daß der sektorale Strukturwandel, d.h. die Veränderung der Produktionsstruktur weg von einfachen hin zu fortgeschrittenen Produkten, wegen des Humankapitalmangels erschwert wird. Steigende Rohstoffpreise können vorübergehend einige asiatische Länder wie beispielsweise Indonesien, insgesamt reicher machen. Diese kurzfristigen ‚windfalls’ schmelzen aber rasch dahin, wenn der Rohstoffsektor gegenüber anderen Sektoren bevorzugt wird und Investitionen in neue Sektoren unterbleiben.

„Die Menschen in Asien vertrauen auf sich selbst, nicht auf den Staat“

EM: Warum fahren die europäischen Volkswirtschaften im Vergleich mit asiatischen in einem derart verhaltenen Tempo, weshalb konnte beispielsweise die einstige europäische Lokomotive Deutschland so weit zurückfallen, daß das Land auf verschiedenen Gebieten bereits das Schlußlicht bildet?

Langkammer: Europa ist im Gegensatz zu Asien eine reiche, alternde Region, die nicht mehr die Möglichkeiten eines raschen, aufholenden Wachstums besitzt wie arme Entwicklungsländer, die das Bild Asiens prägen. Daher muß das wirtschaftliche Wachstum in anderen Entwicklungsregionen unter normalen Bedingungen höher sein als in einer reichen Region, deren Wachstum nicht mehr durch Kumulation von Arbeit und Kapital, sondern durch Innovationen und bessere Nutzung der gegebenen Ressourcen bestimmt wird. Innerhalb Europas läßt sich die deutsche Schlußlichtposition mit einer Vielzahl von Faktoren erklären, die zeitlich zusammenfallen: Einmal sind es die Spätlasten einer noch nicht geglückten wirtschaftlichen Bewältigung der deutschen Wiedervereinigung. Dazu kommt der Eintritt in die Europäische Währungsunion, die Deutschland eines Zinsvorteils beraubte. Weitere Faktoren sind die Wirtschaftsstruktur Deutschlands als Industriestandort, der besonders den Herausforderungen der Globalisierung unterworfen ist und die sehr späte, wahrscheinlich zu späte Inangriffnahme der Sanierung der sozialen Sicherungssysteme vor dem Hintergrund einer immer näher kommenden Alterungswelle. Und schließlich ganz besonders das deutsche Problem von unklaren Zuständigkeiten in der föderalen Arbeitsteilung zwischen Gemeinden, Ländern und Bund.

EM: Was haben asiatische Regionen, was Europa nicht (mehr) hat?

Langhammer: Die Menschen in Asien vertrauen auf sich selbst, nicht auf den Staat. Sie übernehmen Eigenverantwortung und wollen für sich und ihre Kinder Wohlstand erreichen und nicht wie in Europa oder auch in Deutschland Besitzstände verteidigen. Dies ist das normale Charakteristikum aufholenden Wachstums.

EM: Ist das ungeheure Bevölkerungswachstum in Asien eines der Geheimnisse für die Wachstumsdynamik der dortigen Volkswirtschaften?

Das Bevölkerungswachstum in Asien wird sich nicht nur aufgrund der besonderen Bevölkerungspolitik in China, sondern auch aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums der asiatischen Staaten im Durchschnitt sichtbar abschwächen. China steht sogar vor einem erheblichen Problem sozialer Sicherung aufgrund seiner alternden Gesellschaft. Das Bevölkerungswachstum ist keine treibende Kraft für Wirtschaftswachstum. Vielmehr sind es gute Institutionen, günstige natürliche Ausgangsbedingungen – vor allem in der Landwirtschaft – sowie hohe Investitionen in die Bildung, die Asien im weltwirtschaftlichen Wachstum vorangebracht haben. Gemessen an der Bevölkerung ist Afrika die wachstumsstärkste Region der Welt, gleichzeitig ist Afrika aber auch die Weltregion mit den größten wirtschaftlichen Problemen. Es gibt also keine Korrelation zwischen Bevölkerungswachstum und wirtschaftlichem Wachstum.

EM: Welche Bedeutung wird künftig der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und dem Handel Europas mit asiatischen Volkswirtschaften zukommen - sind Entwicklungen wie beim europäischen Navigations- und Satellitenprogramm Galileo, an dem sich China wirtschaftlich beteiligt, richtungsweisend?

Langhammer: Asiens Infrastruktur ist noch weitgehend unterentwickelt. Hier ergeben sich für europäische Anbieter große Chancen, sofern sie nachweisen können, daß innovative Informations- und Infrastrukturprojekte auch auf den eigenen Märkten erfolgreich sind. Hier liegt das Problem mit dem Transrapid, aber auch mit anderen großen Investitionsprojekten wie beispielsweise im Satellitenprogramm Galileo. Erweisen sich ehrgeizige Entwicklungen wie das deutsche Maut-System als technisch anfällig und unausgereift, so kann man nicht erwarten, daß sie in asiatischen Ländern, die die modernste Technologie einführen und auch selbst weiterentwickeln wollen, auf viel Gegenliebe stoßen.

EM: Welche Bedeutung wird mittel- und längerfristig Rußland für die europäische Entwicklung haben?

Langhammer: Rußland wird auf absehbare Zeit kein Mitglied der Europäischen Union werden. Seine Bedeutung für die Wirtschaftsentwicklung in Europa wird es in erster Linie als Rohstofflieferant besitzen. Auf der anderen Seite ist Rußland ein attraktiver Investitionsstandort für europäische Unternehmen, sofern es ihnen gelingt, mit den besonderen Bedingungen der russischen Wirtschaft fertig zu werden, in der eine politische und wirtschaftliche Nomenklatura mit privilegiertem Zugang zu natürlichen Ressourcen den Ton angibt.

„Ich vertrete dezidiert die Meinung, daß die Türkei so weit in ihrem wirtschaftlichen, aber auch politischen Entwicklungsprozeß fortgeschritten ist, daß Beitrittsverhandlungen mit offenem Ende aufgenommen werden können.“

EM: Eine der kommenden großen Herausforderungen für die EU ist das Streben der Türkei, Mitglied der Gemeinschaft zu werden. Würde die Türkei uns guttun oder würde sie die EU zugrunde richten?

Langhammer: Ich vertrete dezidiert die Meinung, daß die Türkei so weit in ihrem wirtschaftlichen, aber auch politischen Entwicklungsprozeß fortgeschritten ist, daß Beitrittsverhandlungen mit offenem Ende aufgenommen werden können. Alles andere wirft den Entwicklungsprozeß in der Türkei zurück und schafft Europa mehr Probleme als eine Phase von Beitrittsverhandlungen, die sehr lange dauern kann. Man sollte dabei auch nicht zögern, die Uhr anzuhalten, wenn die Bedingungen für eine Aufnahme nicht erfüllt werden.

EM: Kann die Türkei das sein, was immer wieder gesagt wird: eine Brücke in die muslimische Welt, zum Orient, bis an die Gestade Asiens?

Langhammer: Die Brückenfunktionen von Staaten haben ihre Besonderheiten. Normalerweise fährt man über eine Brücke, ohne dort anzuhalten, so daß das Land selber von einer Brückenfunktion im Sinne einer Transitfunktion nichts hat. Das türkische Problem ähnelt dem Chinas, was die enormen Unterschiede innerhalb des Landes anlangt. Es gibt Teile in der Türkei, die zur Zeit bereits westlichem Niveau entsprechen, während andere Teile weit von einer modernen Entwicklung entfernt sind. Entscheidend für die Perspektive der Türkei wird sein, inwieweit sie mit den Problemen an den Grenzen zum Irak fertig wird und inwieweit es ihr gelingt, die kurdische Minderheit so zu integrieren, wie es der europäischen Tradition gegenüber Minderheiten entspricht.

EM: Europa, aber auch andere Regionen des eurasischen Kontinents, wie China und Indien, sind wirtschafts-und handelspolitische Konkurrenten der Supermacht USA. Könnte sich langfristig das gigantische Defizit der US-Leistungs- und Handelsbilanz negativ auf die bisherige Vormachtstellung der Vereinigten Staaten auswirken?

Langhammer: Das Defizit der amerikanischen Leistungsbilanz muß mittelfristig abgebaut werden, damit die Welt nicht in eine Spirale von Wechselkurs- und Handelsprotektionismus gerät. Die Frage ist, ob dieser Abbau schockartig mit erheblichen negativen Konsequenzen für die Weltwirtschaft oder mittelfristig eher in einer Art geordnetem Rückzug erfolgen kann. Viel wäre gewonnen, wenn Europa aus sich heraus eine wirtschaftliche Dynamik entfalten könnte, wenn Wechselkurse in Asien wieder mehr den Marktkräften als der Manipulation durch die Regierungen gehorchen würden und wenn die Vereinigten Staaten behutsam Anreize zur Sparkapitalmobilisierung setzten. Es wird nur mit einer Art Aufgabenverteilung zwischen den drei Regionen in der oben skizzierten Form gehen. Die Last der Anpassung einer einzigen Region aufzubürden, würde sicherlich zu einer Krise führen.

EM: Heißt das, daß Europa und Asien sich am Abbau der amerikanischen Defizite beteiligen sollen oder gar müssen?

Langhammer: Jeder hat seine eigenen Hausaufgaben zu erledigen. Wenn die asiatischen Länder ihre internen Finanzmärkte so reformieren, daß sie den Zufluß von ausländischem Kapital effizient einsetzen können, dann werden sie auch ihre Wechselkurspolitik flexibler gestalten und den Marktkräften überlassen. Wenn Europa seine hausgemachten Probleme in der Finanzpolitik und in der Frage der sozialen Sicherungssysteme und der Arbeitsmärkte angeht, so wird auch Europa mittelfristig wieder zu einer Wachstumsregion, wenn auch nicht auf dem Niveau eines aufholenden Entwicklungslandes. Beide Faktoren würden dazu führen, daß sich der Dollar langsam abschwächen würde und daß auch die Importnachfrage der USA langsam zurückginge. Beides würde außerdem dazu führen, daß sich das Leistungsbilanzdefizit abbaut und daß Amerika wieder in die Lage versetzt wird, seine Investitionen stärker mit eigenen Mitteln zu finanzieren als auf die Ersparnisse anderer Länder zurückzugreifen, nur weil sich dort keine attraktive Anlagemöglichkeit bietet.

EM: Haben Sie vielen Dank für das Gespräch.

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