Globalisierung à la Tschingis Chan?

Globalisierung à la Tschingis Chan?

Ein Gespräch mit Prof. Dr. Schagdaryn Bira in Ulanbator uber die Bedeutung des mongolischen Tengerismus fur die Globalisierung.

Von Kai Ehlers

EM - Prof. Dr. Schagdaryn Bira ist leitender Sekretär der „Internationalen Assoziation für mongolische Studien“ (IAMS) in der mongolischen Hauptstadt Ulanbator. Die IAMS erstellt historische und aktuelle Studien zur Geschichte und politischen Rolle der Mongolei in der Welt. In seinem Aufsatz mit dem Titel „Die Mongolische Theorie des Tengerismus“ machte Schagdaryn Bira darauf aufmerksam, daß die mongolische Expansion im 13. und 14. Jahrhundert unter den kosmologischen Vorstellungen von der Welt als Einheit stattfand. Daraus seien interessante Lehren für die heutige Globalisierung zu ziehen. Kai Ehlers nahm die Thesen Prof. Biras zum Anlaß, ihn nach der Rolle der Mongolei und der Bedeutung Chinas im Prozeß der heutigen Globalisierung zu befragen.

Kai Ehlers: In Ihrem Artikel, beschreiben sie den mongolischen Tengerismus als eine universalistische Weltsicht, die auch Bedeutung für die heutige Globalisierung haben könnte. Es scheint mir, als seien sich der Tengerismus und der chinesische Universalismus sehr ähnlich. Worin unterscheiden sie sich?

Schagdaryn Bira: Tengerismus leitet sich von dem mongolischen Wort Tengri ab, das zu Deutsch Himmel bedeutet. Anhänger des Tengerismus verehren die große kosmische Einheit allen Lebens. Der Tengri-Kult war Hauptbestandteil des Schamanismus, die älteste Volksreligion der mongolischen und der turkischen Völker.

In der Tat ist Tengerismus so etwas Ähnliches wie Universalismus. Die chinesische Lehre des einen Himmels, des ‚Tien min‘, ist der mongolischen Lehre von Tengri sehr verwandt. Deshalb meinen einige Wissenschaftler, die Mongolen und auch die Turkvölker hätten sie von der klassischen chinesischen Philosophie und politischen Lehre übernommen.

Einen gewissen Einfluß von chinesischer Seite auf den mongolischen Tengerismus hat es sicher gegeben, vor allem zur Zeit der mongolischen Khane in China. Sie imitierten die Lehren von Tien Min. Wir sollten aber nicht vergessen, daß der Schamanismus unter den nomadischen Völkern schon vor ihrer Bekanntschaft mit dem chinesischen Universalismus verbreitet war. Zudem gibt es einen großen Unterschied zwischen mongolischem Tengerismus und chinesischem Universalismus, den wir auch nicht vergessen sollten: Die chinesische Weltanschauung wurde nie über die nationalen Grenzen Chinas hinausgetragen. Die Chinesen versuchten niemals, ihren Universalismus in anderen Staaten einzuführen, seine weltweite Verbreitung zu fördern. Anders die Mongolen. Betrachtet man die riesige Expansion des mongolischen Reiches im 14.Jahrhundert und danach, wird sehr deutlich, daß die mongolischen Khane versuchten, dem Tengerismus Weltgeltung zu verschaffen. Die Mongolen waren nicht nur die ersten Theoretiker, sondern vor allem die ersten Praktiker des Tengerismus.

„Nomadische Völker sind sehr offen für andere Einflüsse und andere Zivilisationen.“

Ehlers: Ja, bisher haben die Chinesen sich nie über die hohen Gebirgsketten, die ihr Land umgrenzen, ausgebreitet. Ihr Universalismus war immer ein rein chinesischer...

Bira: Ja, genau. Einzig der chinesische Himmel...

Ehlers: ...und wer sich in China aufhält, wird auch heute stark damit konfrontiert: Die Chinesen leben in China! China, China, China! Es steht im Zentrum ihres Weltbildes. Doch findet hier momentan eine Veränderung statt: Die aktuelle wirtschaftliche Entwicklung Chinas, die geradezu in die Welt hinein explodiert! Halten Sie es für möglich, daß sich der chinesische Universalismus aus diesem Druck heraus erstmals auch in anderen Teilen der Welt verbreitet?

Bira: Es sieht derzeit so aus, ja. Es gibt Anzeichen für eine solche Entwicklung, aber ich bin nicht sicher, ob sich Chinas wirtschaftlicher Einfluß über die ganze Welt ausbreiten wird. Das läßt sich noch nicht absehen. Klar ist dagegen, daß die Chinesen, obwohl sie auf eine Jahrtausende alte Zivilisation zurückblicken können, im Gegensatz zu anderen großen Zivilisationen, die inzwischen untergegangen sind, keinerlei historische Erfahrung haben mit der universellen Verbreitung eines kulturellen Anspruchs. Die Chinesen haben niemals versucht, ihre eigene Kultur in weltweitem Maßstabe zu verankern. Im Unterschied zu mobilen nomadischen Völkern waren die Chinesen in der Regel seßhaft. Nomadische Völker waren und sind sehr offen für andere Einflüsse und andere Zivilisationen. Sie bildeten niemals eine geschlossene Gesellschaft, sondern kamen sehr leicht in Kontakt mit anderen Völkern und Nationen. Deshalb ist die Mentalität von nomadischen und siedelnden Völkern ziemlich verschieden.

Tschingis Chans Botschaft: soziale Harmonie

Ehlers: Welche Lehren sind Ihrer Ansicht nach aus dem traditionellen Tengerismus für die Globalisierung zu ziehen?

Bira: Ich würde sagen, die Mongolen haben eine sehr reiche Erfahrung in Sachen Globalisierung. Man sollte aus der mongolischen Geschichte des 13. und des 14. Jahrhunderts lernen: Damals gab es einen realen Tengerismus, es gab so etwas wie einen Prozeß der weltweiten „Verhimmlichung“ der Welt. Denn die mongolische Botschaft war - soziale Harmonie. Alle Völker und Nationen, die es unter dem Himmel gibt, sollten unter einer politischen Macht vereint sein. Das war die Hauptphilosophie der Mongolen.

Diese Vorstellungen wurden gewaltsam durchgesetzt mit militärischer Gewalt. Das ist natürlich ein Kritikpunkt. Aber nach der Vereinigung vieler Nationen im Reich der Mongolen gab es Interaktionen zwischen Asien und Europa, gab es Beziehungen zwischen verschiedenen Völkern Asiens und der Mongolei. Es kam zu regem Austausch unter den Völkern und es gab freien Handel, was dem mongolischen „urtko-System“, dem mit Pferdestationen verbundenen Kommunikationssystem des mongolischen Imperiums zu verdanken war.

Hinter dem Tengerismus standen natürlich wirtschaftliche Interessen. Die herrschende mongolische Klasse wollte sich bereichern, suchte den Zugang zum Reichtum anderer Länder. Aber das Interessanteste an all dem ist, daß Tschingis Chan und seine Nachfolger ihre wirtschaftlichen Interessen weitgehend durch die Philosophie begründen konnten, durch die intellektuell sehr hoch entwickelte Lehre des Tengerismus.

„Die Doktrin der Globalisierung muß verbessert werden“

Und wie ist es heute, im Zeitalter der Globalisierung? Es gibt ebenfalls wirtschaftliche Interessen, nationale und transnationale Korporationen. Die engeren Beziehungen auf der Welt bringen den Völkern, besonders den unterentwickelten Völkern, viel Gutes – Werte, Kommunikations-Technologien usw.

Aber es gibt auch eine Menge negative Auswirkungen der Globalisierung. Das ist der Grund, warum die Doktrin der Globalisierung heute verbessert werden muß, etwa in Hinsicht auf Moral, auf kulturelle oder spirituelle Werte. Die Globalisierung wird nicht viel bewegen können, wenn sie nicht mit einem Wertesystem in Übereinstimmung gebracht wird, wenn wir nicht den Unterschied zwischen Religion und Zivilisation anerkennen. Mit das Wichtigste ist: Globalisierung darf nicht mit Gewalt durchgesetzt werden.

Ehlers: Ja, die alten Wege sind nicht mehr gangbar. Welche Rolle könnte die Mongolei also heute in diesem Prozeß spielen?

Bira: Zuallererst sollte die Mongolei mit anderen unterentwickelten Nationen kooperieren, um ihre Identität zu erhalten, die auf Lebensstil, Kultur und Wertvorstellungen des Nomadismus fußt, sowie auf der Religion und Moralität. Reisende aller Jahrhunderte waren immer sehr inspiriert von der Moral, die sie hier bei den Nomaden angetroffen haben. Auch Christen, die versuchten unter den Mongolen zu missionieren. Bevor die Europäer hierher kamen, hatten sie keine Vorstellung von Asien. Wenn sie an den Kontinent dachten, dann stellten sie sich Herden von Tieren und Wesen mit Hundeköpfen und menschlichen Körpern vor. Erst nach dem Kontakt mit den Mongolen bekamen sie ein realistisches Verständnis von asiatischen Menschen, einschließlich der Mongolen. Das ist der positive Effekt des mongolischen Imperiums, auch wenn es durch Gewalt geschaffen wurde.

Ehlers: Kann die Mongolei, die jetzt zwischen China und Rußland, zwischen Europa und Amerika, also zwischen allen Interessen und Kulturen liegt, heute eine ähnliche Kraft entwickeln?

Bira: Eine sehr wichtige Frage! Aus meiner Sicht schon. Die Mongolei könnte mit Hilfe der Vereinten Nationen eine Rolle als neutralisierender Faktor spielen, um die negativen Konsequenzen der Globalisierung zu verringern. Es geht dabei nicht nur um die Mongolei, die als kleine Nation so eine Rolle spielen kann. Das gilt auch für andere kleine Nationen...

„Wenn kleine Nationen verschwinden, kümmert das kaum jemanden.“

Ehlers: Rund um die Mongolei...

Bira: Ja, rund um die Mongolei. Aber auch für die weiter entfernten Nationen. Die Mongolei sollte eine führende Rolle dabei übernehmen, andere kleine Nationen zusammenzuführen, um gemeinsam deren einzigartige Kulturen und Zivilisationen zu schützen. Es ist sehr wichtig, daß sich die kleinen Nationen der Erde zusammentun. Sonst werden wir die soziale und moralische Balance verlieren. Ich wundere mich manchmal darüber, wie sehr Leute sich grämen, wenn eine der bedrohten Pflanzen untergeht. Dann heißt es, wir verlieren die ökologische Balance – aber wenn kleine Nationen verschwinden, dann kümmert das kaum jemanden. Das ist sehr befremdlich! Aber es geschieht. Die Völker werden einfach assimiliert und verschwinden damit. Wenn Globalisierung jedoch in die richtige Richtung gehen soll, dann muß sie alle Menschen, einschließlich die der kleinen Völker, respektieren.

Ehlers: Vielen Dank für das Gespräch.

Mehr von Kai Ehlers finden Sie hier: www.kai-ehlers.de.

Asien Globalisierung Interview

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