Indonesien: Neue Perspektiven am Äquator?INDONESIEN

Neue Perspektiven am Äquator?

Islam und Demokratie, Indonesien bietet beides. Wirtschaftswachstum? Auch hier kann der Inselstaat mithalten. Bodenschätze und niedrige Lohnkosten locken Investoren aus USA, Japan und China. Indonesien - Musterknabe Südostasiens und Vorbild für die arabische Welt? Eine ernüchternde Bilanz.

Von Wilfried Arz

Jakarta brennt. Preissteigerungen für Nahrungsmittel und Kerosin haben soziale Aufstände ausgelöst. Aufgebrachte Demonstranten plündern Geschäfte. Kaufhäuser stehen in Flammen. Polizei und Militär halten die Situation nur mit Mühe unter Kontrolle. Über eintausend Menschen kommen allein in der Hauptstadt ums Leben. Der Druck des Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Wut der Bevölkerung zwingen General Suharto nach 32 Jahren Diktatur zum Rücktritt. Das war im Mai 1998.

Heute präsentiert sich Indonesien als Musterknabe neoliberaler Wirtschaftspolitik: Südostasiens größte Volkswirtschaft glänzt mit hohen Wachstumsraten (2011: 6,5 Prozent). Investoren loben die politisch stabilen Verhältnisse und eine konsumfreudige Mittelklasse auf dem Inselarchipel am Äquator.

Politiker aus aller Welt geben sich in Jakarta die Klinke in die Hand: Chinas Regierungschef Wen Jiabao und US-Präsident Obama (2010), der britische Premier David Cameron und Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel (2012). Warum das Interesse an Indonesien? Rohstoffe (u.a. Erdgas, Kohle, Kupfer, Gold, Nickel) und niedrige Löhne locken Investoren aus aller Welt. Indonesiens Lage zwischen Indischem Ozean und West-Pazifik rückt das Land ins Blickfeld von Geostrategen und Außenpolitikern. China und USA rivalisieren in Südostasien um Einfluss - wirtschaftlich, politisch und militärisch. Auch die EU will den Anschluss nicht verpassen und bemüht sich um engere Beziehungen zu Jakarta.

Arm und Reich zugleich

Mit einem Bruttoinlandprodukt von 850 Milliarden US-Dollar (2011) wird Indonesien gern als wirtschaftliches Schwergewicht in der Region bezeichnet. Unübersehbar allerdings auch eine extrem ungleiche Einkommensverteilung. Indonesiens pro-Kopf-Einkommen von rd. 3.000 US-Dollar/Jahr ist eines der niedrigsten in Asien-Pazifik. Wird die Armutsgrenze mit zwei US-Dollar/Tag definiert, dann leben rd. 50 Prozent (120 Millionen) der Bevölkerung in Armut. Auf dem Human Development-Index 2011 rangiert Indonesien auf Platz 124 von 187 Ländern. Doch an der Spitze der Einkommenspyramide konzentriert sich großer Wohlstand: die 150 reichsten Indonesier verfügen über mehr als 100 Milliarden US-Dollar.

Bricht Indonesien auseinander?

Regional ungleich verteilt sind politische Entscheidungskompetenzen, Wirtschaftsleistung und Rohstoffvorkommen. Auf  Java, mit 135 Millionen Menschen eine dicht bevölkerte Insel,  werden politische Entscheidungen getroffen. Sozial arm, doch ausgesprochen rohstoffreich: Sumatra (Erdgas, Kohle, Zinn), Papua (Kupfer, Gold) und Sulawesi (Nickel). Der Anschluss an soziale und wirtschaftliche Entwicklungsfortschritte blieb Indonesiens insularer Peripherie bislang verwehrt. Dort sind Unzufriedenheit über krasse regionale Entwicklungsunterschiede Nährboden für militante Sezessionsbewegungen. Politische Stabilität? Indonesien bietet in jeder Hinsicht ein Bild sozialer Brennpunkte und zentrifugaler Tendenzen, die den gesellschaftlichen und territorialen Zusammenhalt des Inselstaates seit Jahrzehnten zu sprengen drohen.

Mittelklasse zwischen Konsum, Politik und Zensur

In Jakarta ist von Indonesiens innenpolitischen Konflikten wenig zu spüren. Hinter glitzernden Fassaden klimatisierter Einkaufszentren frönt Indonesiens Mittelklasse ausgiebig dem Konsum. Beliebter Treffpunkt neureicher Hedonisten: das legendäre “Café Batavia” im kolonialen Ambiente am Fatahillah-Platz. Politik ist hier kein Thema. Und Indonesiens junge Facebook-Generation? Auch sie zeigt wenig politisches Interesse. Jakartas Internet-Cafés bieten aufregenderen Zeitvertreib: virtuelle Kriegsspiele. In der Nutzung des Internets bildet Indonesien dennoch das Schlusslicht in Südostasien: nur 21 Prozent der Indonesier im Alter zwischen 15 und 49 Jahren surfen online.

Indonesiens Medienlandschaft zeichnet sich heute durch eine Vielfalt lokaler Radiostationen, TV-Kanälen, Zeitschriften und Magazinen aus. Inhalte beschränken sich überwiegend auf Unterhaltung. Medienvielfalt bedeutet keineswegs Medienfreiheit. Meinungsfreiheit bleibt auch vierzehn Jahre nach dem Sturz General Suhartos eingeschränkt. Internetbeiträge mit politisch kritischen Inhalten können seit 2008 als “sicherheitsgefährdend” eingestuft und mit Gefängnis von bis zu sechs Jahren bestraft werden. Ein Bericht über korrupte Polizeioffiziere im Magazin “Tempo” hatte 2010 einen Brandanschlag auf das Redaktionsbüro zur Folge.

Korruption bestimmt Politik und Wirtschaft

Die Zeiten autoritärer Herrschaft der Generäle Sukarno (1950-1967) und Suharto (1967-1998) sind Vergangenheit. Seit Asiens Finanzkrise 1997/98 bemüht sich die zwischen Militärs und Wirtschaft eng verfilzte Elite Indonesiens um einen demokratischen Anstrich. Nach einem kurzen Intermezzo unter Jusuf Habibie (1998-1999), Abdurrahman Wahid (1999-2001) und Megawati Sukarnoputri (2001-2004) hat wieder ein General die politische Führung in Jakarta übernommen: seit 2004 regiert Susilo Bambang Yudhoyono als Staatspräsident. Seine militärische Karriere verdankte der zum Zivilisten mutierte Yudhoyono seiner Loyalität gegenüber dem Vorgesetzten General Suharto. 

Im Wahlkampf 2004 (begleitet von massiven Stimmenkäufen) war Yudhoyono mit dem Versprechen angetreten, Indonesiens grassierende Korruption bekämpfen zu wollen - mit wenig Erfolg, wie jüngste  Korruptionsfälle  belegen. Yudhoyono selbst geriet 2010 im Zusammenhang des Bank Century-Skandals in ein zweifelhaftes Licht. Transparency International positionierte Indonesien 2011 auf dem globalen Korruptionsindex auf Platz 100 von 182 Ländern. Investoren loben Indonesiens Investitionsklima und klagen zugleich über die korrupte Verwaltung des Inselstaates.

Alte Eliten haben ihren Einfluss konsolidiert

Indonesiens Demokratisierungsprozess mag Veränderungen auf institutioneller Ebene herbeigeführt haben, Hoffnungen auf einen Elitenwechsel wurden nicht erfüllt. Hinter einer scheindemokratischen Fassade vermochte die alte Elite ihren Einfluss zu konsolidieren. Einflussreiche Positionen in Regierung und Parlament werden noch immer von ehemaligen Funktionsträgern aus Suhartos Zeiten besetzt. Die Armee geniesst Immunität und wird für Menschenrechtsverletzungen (in Papua, Ost-Timor, Aceh) nicht zur Rechenschaft gezogen. Von einer Aufarbeitung der Suharto-Ära kann keine Rede sein.

Viele Wähler Indonesiens sind desillusioniert und verlieren das Vertrauen in die Fähigkeit  ihrer Regierung, die drängenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme des Landes lösen zu können. Bei den Regionalwahlen 2011 lag der Anteil der Nichtwähler bei fast vierzig Prozent. Seit 1999 hat die Wahlbeteiligung kontinuierlich abgenommen, Yudhoyonos Popularität einen Tiefpunkt erreicht. 2014 stehen Neuwahlen an.

Milliardär will 2014 Staatspräsident werden

Zwei Jahre vor den nächsten Wahlen hat einer der reichsten Indonesier seine Kandidatur für das Amt des Staatspräsidenten angemeldet: der Milliardär Aburizal Bakrie. Sein Wirtschaftsimperium beruht auf Kohlebergbau, Palmölproduktion, Telekommunikation und Immobilien. Sicher ist: Bakrie wird den Wahlkampf weitgehend aus eigener Tasche finanzieren können. Unsicher sind seine Erfolgschancen. Zu seinen Konkurrenten zählen bekannte Gesichter: Megawati Sukarnoputri (Jg. 1947, Tochter des Generals Sukarno) und der ehemalige Vizepräsident Jusuf Kalla (Jg. 1947).

Als Favorit gilt wieder (!) ein hoher Militär: General Prabowo Subianto (Jg. 1951, verheiratet mit einer Suharto-Tochter). Subianto diente 1997-99 als Generalstabschef und spielte bei der Aufstandsbekämpfung in Ost-Timor und den anti-chinesischen Ausschreitungen in Jakarta 1998 eine kontroverse Rolle. Aktuelle Meinungsumfragen trüben bislang Bakries Hoffnungen auf eine politische Karriere: im Urteil der Befragten schneiden alle drei Konkurrenten deutlich besser ab. Noch bleibt dem Tycoon Aburizal Bakrie Zeit, Indonesiens Wähler von seiner Person zu überzeugen.

Wirtschaftswunder am Äquator?

Überzeugt sind Analysten schon jetzt von den wirtschaftlichen Perspektiven Indonesiens. Meldungen der Wirtschaftspresse vermitteln den Eindruck einer rosigen Zukunft. Das Land biete ein großes Potential an Energie und Rohstoffen, die auf dem Weltmarkt stark nachgefragt werden und ein (noch) niedriges Lohnniveau. Indonesiens starker Binnenmarkt mit 50 Prozent Anteil am Bruttoinlandprodukt und eine relativ geringe Exportabhängigkeit habe den Inselstaat trotz aktueller Konjunkturflaute seiner Exportmärkte vor starken Einbrüchen zu bewahren vermocht. Gleichwohl spürt auch Indonesien den Nachfragerückgang seiner Exportprodukte (unverarbeitete Rohstoffe) in sinkenden Deviseneinnahmen. 

Indonesien war 1993 schon einmal im Weltbank-Bericht “East Asian Miracle” (Ostasiatisches Wirtschaftswunder) als potenzieller “Tigerstaat” Südostasiens hochgejubelt worden. Dann folgte 1997/98 der finanzpolitische Absturz. Daten über Auslandsinvestitionen (2011: 19,2 Milliarden US-Dollar), niedrige Inflationsraten (um vier Prozent) und eine konsumfreudige Mittelklasse werden nun wieder euphorisch gelobt - weniger hingegen die Kehrseiten des “Wirtschaftswunders” thematisiert. Jakartas Auslandsschulden betragen 214 Milliarden US-Dollar (2011) - die höchste Verschuldung in ganz Südostasien. Preise für Benzin, Diesel und Kerosin werden massiv subventioniert: Preissteigerungen hatten 1998 in der Bevölkerung wütende Proteste ausgelöst und maßgeblich zum Sturz Suhartos beigetragen.

Strukturschwächen der indonesischen Wirtschaft

Wie solide ist das Wirtschaftswachstum Indonesiens mittelfristig einzuschätzen? Ein Blick hinter Börsenberichte und Rohstoffpreise offenbart strukturelle Schwächen: die Abhängigkeit von wenigen Exportprodukten und Absatzmärkten (Japan, USA, China). Gravierend der geringe Technologietransfer und die niedrige Integrationstiefe in regionale Produktionsnetze, die zunehmend auf China ausgerichtet werden. Fünf Millionen indonesische Arbeitsmigranten in Malaysia und dem Mittleren Osten sind ein weiteres Indiz struktureller Probleme, Arbeitskräfte in den eigenen Wirtschaftsraum integrieren zu können.

Seit Inkrafttreten der Freihandelszone ASEAN-China (2010) steht Indonesien zudem in verschärfter Konkurrenz mit seinen Nachbarn (und China!) um Auslandsinvestitionen und Absatzmärkte. Investoren beklagen eine mangelhafte Infrastruktur (Häfen, Straßen), insbesondere eklatante Defizite in der Energieversorgung: häufig kommt es zu Stromausfällen. Nur 30 Prozent der Bevölkerung hat Zugang zum Stromnetz.

Über das hochgelobte Investitionsklima Indonesiens legte sich 2012 bereits ein erster Schatten: Jakarta fordert von ausländischen Bergbau-Konzernen höhere Steuerabgaben und einen Kapitalanteil in Gemeinschaftsunternehmen von maximal 49 Prozent. Betroffen sind:  Freeport McMoran/USA (Förderung von Kupfer und Gold auf Papua), ExxonMobil/USA (Erdgasprojekt in Aceh auf Sumatra), Newmont Mining/USA (Kupfer und Gold auf Sumbawa) und Vale/Brazilien (Förderung von Nickel auf Sulawesi).

Chinesische Minderheit bleibt Wirtschaftsmotor

Der starken Stellung ausländischer Konzerne im Rohstoffsektor entspricht die Dominanz der chinesischen Minderheit in Handel und Finanzen. Mit einem Anteil von nur vier Prozent an der 240 Millionen-Bevölkerung sollen Indonesiens Chinesen über 50 Prozent der Wirtschaft kontrollieren. Unter niederländischer Kolonialherrschaft (17. Jahrhundert bis 1949) waren Chinesen als Zwischenhändler und Steuereintreiber gefördert worden. Doch lebten Indonesiens Chinesen stets gefährlich. An ihrer beherrschenden Stellung im Wirtschaftsleben und der Neigung zu sozialer Kohärenz (eigene Wohnviertel, Sprache, Religion, kein Verzicht auf Schweinefleisch) entzündeten sich latent Ressentiments auf Seiten der muslimischen Bevölkerung, die in Krisenzeiten offene Feindseligkeiten (Pogrome 1740, 1965, 1980, 1998) auslösten.

Keine Berührungsängste gegenüber Chinesen kennt Indonesiens Elite in Militär und Politik. Ihnen diente die wohlhabende chinesische Geschäftswelt der Absicherung eigener Machtpositionen. Als Musterbeispiel einer Zweckallianz galten die engen Beziehungen zwischen General Suharto (1921-2008) und dem Milliardär Liem Sioe Liong (1916-2012). Liem war durch den Handel mit Gewürzen (Nelken), Zucker, Textilien, Kautschuk und Kaffee reich geworden. Seine Salim-Gruppe mit der Bank Central Asia, Indonesiens größtem privaten Bankhaus, gilt als milliardenschweres Wirtschaftsimperium mit Verbindungen in ganz Südostasien.

Millionen Bauern als Modernisierungsverlierer

Wachstum und Wirtschaftsaufschwung sind an Indonesiens Bauern spurlos vorbeigegangen. Obwohl der Anteil der Landwirtschaft auf weniger als 20 Prozent am Bruttoinlandprodukt gesunken ist, leben noch immer mehr als die Hälfte der Bevölkerung in Dörfern. Eine Landreform, unter General Sukarno zaghaft in Angriff genommen, fiel der Politik seines Nachfolgers Suharto zum Opfer. Indonesien gilt als Selbstversorger beim Nahrungsmittel Reis, doch bestimmen ungleiche Bodenbesitzverhältnisse und kleine Betriebsflächen noch immer das Bild im Agrarsektor.   

Staatliche Programme zur Umsiedlung (Transmigrasi) von javanischen Bauern auf die schwach besiedelten Inseln Sumatra und Kalimantan erreichten keine demografische Entlastung. Waldrodung und Monokulturen verschärften Umweltprobleme und führten zu sozialen Konflikten mit alteingesessenen ethnischen Gruppen. Bevölkerungswachstum stellt Indonesiens Ernährungssicherheit und Arbeitsmarkt vor weitere enorme Probleme.

Islam zwischen Toleranz und Radikalisierung

Ebenfalls problematisch entwickeln sich die Beziehungen zwischen Muslimen und religiösen Minderheiten. Wachsende Intoleranz konservativer Muslime gegenüber Christen, aber auch der zahlenmässig kleinen muslimischen Ahmadiyah-Gruppe (rd. 200.000 Gläubige) sorgten für Schlagzeilen. Jemaah Islamiya, eine der Al-Qaida nahestehende fundamentalistische Organisation, verübte blutige Terroranschläge auf Bali (2002, 2005) und in Jakarta (2003, 2004, 2009). US-Luxushotels von Marriot und Ritz-Carlton sowie die Botschaft Australiens waren dort Ziel von Sprengstoffanschlägen. Laskar Jihad, eine weitere Terrorgruppe, galt als Drahtzieher anti-christlicher Ausschreitungen auf den Molukken. Wird Indonesiens politische Stabilität durch radikale Muslime gefährdet?

Seit den blutigen Aufständen gegen arabische Diktatoren in Nordafrika und dem Nahen Osten (2010/11) wird Indonesien gern als “Modell” für die Vereinbarkeit von Islam und Demokratie gepriesen. Ein näherer Blick offenbart die Fragwürdigkeit einer Übertragbarkeit. Zu unterschiedlich ist das Profil muslimischer Gesellschaften in Nordafrika/Naher Osten und an Eurasiens südöstlicher Peripherie. Indonesiens Islam ist stark mit vorislamischen Traditionen verwoben, weder homogen noch identisch mit dem konservativen Wahabismus Saudi-Arabiens und Pakistans. Auch geniesst der indonesische Islam keinen Status einer Staatsreligion. Indonesiens säkularer Staatsideologie “Pancasila” liegt der Anspruch religiöser Toleranz zugrunde. Im Inselstaat bekennen sich islamische Parteien als politische Akteure zu Gewaltlosigkeit und propagieren nicht das Ziel eines islamischen Staates. 

Islamisierung mit konservativen Akzenten

Tendenzen einer Islamisierung mit konservativen Akzenten sind in der breiten Öffentlichkeit gleichwohl sichtbar. Saudi-Arabien finanziert den Bau von Moscheen und Stipendien für indonesische Studenten. Der Zugang zu kritischen Informationen (u.a. des TV-Senders Al-Jazeera in Katar) über politische Ereignisse im arabischen Raum hat Diskussionen über aktuelle Entwicklungen in Indonesien gefördert. Ungelöste soziale und wirtschaftliche Probleme werden auch als Scheitern des westlichen Entwicklungsmodells empfunden.

Vor diesem Hintergrund ist nicht etwa zu fragen, was die arabische Opposition in Nordafrika/dem Nahen Osten von Indonesien lernen könne? Vielmehr ist die politische Elite in Jakarta gut beraten, Ursachen der Proteste in Tunesien, Ägypten und auf der Arabischen Halbinsel im Hinblick auf eigene Politikdefizite zu reflektieren.

Kolonialismus und Globalisierung

Seit der weltwirtschaftlichen Schwerpunktverlagerung vom Transatlantik nach Asien-Pazifik ist viel die Rede von neuen geopolitischen Machtzentren. Zweifellos hat Südostasien im 21. Jahrhundert einen Bedeutungszuwachs erfahren: als Produktionsstandort globalisierter Fertigungsketten und Rohstoffexporteur, durch seine Lage am Schnittpunkt wichtiger maritimer Handelsrouten und dem West-Pazifik als Schauplatz konkurrierender Rivalitäten zwischen USA und China um regionale Vorherrschaft.

Machtstreben war seit dem 16. Jahrhundert auch Antrieb der kolonialen Expansionspolitik europäischer Staaten (Spanien, Portugal, Niederlande, England). Südostasien wurde fortan zu einem Lieferanten von Rohstoffen und Bodenschätzen degradiert. Bis 1798 agierte die private Niederländisch-Ostindische Gesellschaft (VOC) fast konkurrenzlos in Indonesiens Inselwelt. Riesengewinne aus dem Gewürzhandel und die Zwangsbewirtschaftung mit Exportprodukten bescherten dem Königshaus Oranien-Nassau in Den Haag unermesslichen Reichtum.

Pfeffer und Gewürznelken sind von Energie und mineralischen Rohstoffen verdrängt worden. Geblieben sind global operierende Unternehmen und auch deren Gewinne, die heute in die Taschen von großen und kleinen Aktionären fließen. In Zeiten wirtschaftlicher  Globalisierung bleibt Indonesiens Ökonomie eingebunden in Abhängigkeits- und Nachfragemuster, die außerhalb der Region bestimmt werden. 

Stabilität oder sozialer Flächenbrand?

Wirtschaftliche Erfolgsmeldungen können nicht verschleiern, dass die “Errungenschaften” neoliberaler Politik nur einen kleinen Teil der indonesischen Bevölkerung erreicht haben. Zunehmende Gewalt gegenüber religiösen Minderheiten und Menschenrechtsverletzungen sind besorgniserregende Entwicklungen. Indonesiens Ausrichtung seines politischen Systems nach westlichen Vorstellungen (Parteienpluralismus, Wahlen, gewaltlose Elitenrotation) wird in den Medien als Erfolg demokratischer Reformen vermittelt. Gesellschaftliche Stabilität kann Indonesien deshalb noch lange nicht bescheinigt werden.

Eine Desintegration Indonesiens ist derzeit allerdings nicht zu befürchten. Bewaffneter Widerstand  gegen Regierungstruppen scheint abgenommen zu haben. Nach dem Tsunami im Dezember 2004 (mit schweren Verwüstungen und 170.000 Opfern) war es Jakarta gelungen, den jahrelangen Konflikt um eine Autonomie der rohstoffreichen Region Aceh/Sumatra politisch beizulegen. Ehemalige Guerillas sitzen dort heute im Regionalparlament. Wenig Optimismus bestimmen hingegen die Perspektiven einer friedlichen Konfliktlösung in Papua. Der Mangel an zuverlässigen Berichten erschwert eine realitätsnahe Situationsanalyse. Blutige Auseinandersetzungen scheinen dort noch immer an der Tagesordnung zu sein.

Krasse regionale Entwicklungsunterschiede bleiben Nährboden für sozialen Sprengstoff und bergen weiterhin das Risiko politischen Widerstandes gewaltbereiter Sezessionsbewegungen an Indonesiens insularer Peripherie. Bevölkerungsdruck verschärft Verteilungskonflikte um den Zugang zu überlebenswichtigen, aber knappen Ressourcen (Land, Wasser, Nahrung). Schließlich werden Naturkatastrophen (Erdbeben, Tsunamis, Vulkanausbrüche) und globaler Klimawandel Indonesiens politische Elite vor Herausforderungen stellen, die ein Krisenmanagement völlig neuer Qualität verlangen. Auf Sumatra und Kalimantan brennen nicht nur tropische Regenwälder. Auch ungelöste soziale Konflikte können in Indonesien einen Flächenbrand auslösen.

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Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler in Bangkok/Thailand.

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