Mit der Rikscha durch SüdostasienREISE

Mit der Rikscha durch Südostasien

Mit der Rikscha durch Südostasien

Seit dem 26. Dezember 2007 ist der Münchner Thomas Bauer auf einer Reise, die ihn zunächst von der laotischen Hauptstadt Vientiane dem Verlauf des Mekongs südwärts folgend nach Phnom Penh führte. Von dort geht es weiter durch Thailand und Malaysia bis nach Singapur. Bauers Fortbewegungsmittel ist eine Rikscha. Zwar ist das in Asien kein ungewöhnliches Vehikel, aber kaum ein Asiat würde daran denken, mit einem solchen dreirädrigen Gefährt auf Reisen zu gehen und 5.000 Kilometer herunterzustrampeln. Am 14. Februar 2008 will Thomas Bauer am Ziel sein.

Von Thomas Bauer

E in gewaltiges Scheppern kündigte den Lastwagen hinter mir an, der sich die schlaglochübersäte Straße von der laotischen Hauptstadt Vientiane am Mekong entlang nach Savanaketh herunterquälte. Als das Ungetüm direkt neben mir war, drückte sein Fahrer zur Sicherheit mit beiden Händen auf die Hupe. Es hätte ja sein können, dass ich den Sechzehntonner nicht bemerkte. Immer wenn eine solche Hupe keinen Meter Luftlinie von mir entfernt ertönte, zuckte ich zusammen, während ein Pfeifen in meine Ohren fuhr und mein Magen heftig um die eigene Achse rotierte. Im Straßenverkehr, das hatte ich frühzeitig bemerkt, hörte die asiatische Höflichkeit auf. Jede Straße war in Wahrheit eine Rennstrecke. Es gewann, wer die lautere Hupe einsetzen und die kleinen Lücken im Verkehrsgewusel am besten ausnutzen konnte. Ein Radfahrer bot grundsätzlich die Möglichkeit einer solchen Lücke, weil er immer noch ein paar Zentimeter nach rechts ausweichen konnte. Selbst wenn dort bereits der Straßengraben begann.

Vientiane – Singapur, das bedeutete eine Reise von einer Welt in eine andere. Hier die angenehm schläfrige Hauptstadt von Laos, deren Entwicklung ähnlich langsam zu verlaufen schien wie der träge dahinziehende Mekong, der an ihr vorbei fließt. Dort hingegen das in die Höhe strebende, von klimatisierten Einkaufszentren durchsetzte Singapur. Beide Städte repräsentieren einen Teil des heutigen Asiens, und gerade der Spannungsbogen zwischen uralten Traditionen und ausuferndem Kapitalismus, zwischen buddhistischer Gelassenheit und glitzerndem Größenwahn verleiht der Region einen besonderen Reiz. Vientiane – Singapur, das war das verrückteste Vorhaben, das ich jemals in die Tat umgesetzt hatte. Verrückt vor allem deshalb, weil ich mir für die Reise ein ganz besonderes Fahrzeug ausgesucht hatte. Die Firma SMIKE aus Luzern war so freundlich gewesen, mir eine ihrer Rikschas zu überlassen. Voll bepackt wog sie sechzig Kilogramm. Einhundert Kilometer wollte ich damit im Durchschnitt pro Tag bewältigen.

Wo ist denn der Motor?

Bereits während der ersten Tage wurde deutlich, dass die Anwesenheit eines weißhäutigen, langnasigen Europäers auf einem dreirädrigen Gefährt überall die jeweilige Hauptattraktion des Tages darstellte. Kinder rannten zu Dutzenden neben mir her, Frauen winkten mir zu und Männer riefen mir Grüße und Anfeuerungen in einer Sprache hinterher, die sie für Englisch hielten. Wo auch immer ich Pause machte, bildete sich augenblicklich eine Menschentraube um mich herum. Alle wollten das SMIKE anfassen, den Reifendruck testen, mit der Sitzlehne herumspielen und das seltsame Ding begutachten, das die Kilometerzahl angab. Konnte einer der Anwesenden ein paar englische Brocken, entwickelte sich grundsätzlich ein Dialog wie dieser:
„Wo ist denn da der Motor?“
„Es gibt keinen. Ich will mit eigener Kraft von Vientiane nach Singapur fahren.“
„Komm schon, irgendwo muss doch ein Motor sein!“
Bei diesen Worten drückte mein Gegenüber zumeist hoffnungsfroh auf dem Dynamo herum, bis er sich schließlich kopfschüttelnd abwendete und auf sein japanisches oder thailändisches Moped stieg.

Jeder Tag hielt eine Reise ins Ungewisse für mich bereit. Ich war umgeben von Menschen, doch praktisch keiner von ihnen beherrschte Englisch oder eine andere Fremdsprache. Ich wusste nicht, ob und wo ich essen konnte, wo ich mich gerade befand und wie lange es bis zur nächsten Unterkunft dauern würde. Am übelsten waren die Kreuzungen. Sie tauchten unvermittelt auf und waren in den seltensten Fällen ausgeschildert. Als ich kurz vor dem Fischerdorf Pak Kading auf eine solche Kreuzung stieß, deutete ich nach rechts und fragte die Menge um mich herum: „Pak Kading?“ Ich erntete eifriges Nicken und zuckersüßes Lächeln. Schon wollte ich hoffnungsvoll nach rechts abbiegen, da beschloss ich, die erhaltene Auskunft zu verifizieren. Ich deutete nach links und fragte wieder: „Pak Kading?“. Eifriges Nicken und zuckersüßes Lächeln war auch hier die Reaktion, und mir wurde klar, dass mich keiner der Anwesenden verstanden hatte.

Glutroter Staub bedeckt noch die Straßen – doch vollklimatisierte Touristenbusse sind schon in Sicht

  Zur Person: Thomas Bauer
  Der geborene Stuttgarter hat Diplom-Verwaltungswissenschaft an der Universität Konstanz studiert und war bereits in dieser Zeit ein Jahr lang als Greenpeace-Mitarbeiter in Paris und zwei Monate als Journalist in Sydney tätig. Mittlerweile arbeitet er für das Goethe-Institut in München.

Mehrere ausgedehnte Reisen führten ihn nach Osteuropa und durch Südamerika. 2004 wanderte er zu Fuß vom Bodensee bis nach Santiago de Compostela und an die galizische Westküste. Zwei Jahre später folgte er dem Verlauf der Donau bis zum Schwarzen Meer in einem Paddelboot.

Thomas Bauer gründete 1999 die Stuttgarter Autorengruppe „Wortjongleure“. Er ist Sänger bei der französisch-spanischen Musikgruppe „mariposa“, gehört dem Bundesverband junger Autoren und Autorinnen (BVjA) an und den 42er-Autoren. Zehn Bücher sind von ihm erschienen, zuletzt die beiden Reisebücher „2.500 Kilometer zu Fuß durch Europa“ über den Jakobsweg (Wiesenburg, 3. Aufl., 2007) und „Wo die Puszta den Himmel berührt“ über Ungarn (Herbig, 2007).

Weitere Informationen dazu: www.avv-net.de/Pressemappe-Thomas-Bauer.htm.   
Mehr über Thomas Bauer: www.literaturnest.de.

Mein zuverlässigster Wegweiser war der Mekong, der sich – wenn ich mich auf dem richtigen Weg befand – rechts von mir von Laos auf Kambodscha zubewegte. Auf diese Weise fand ich an meinem dritten Tag auch nach Pak Kading, ein pittoreskes Fischerdorf mitten im Übergang. Noch waren die Dorfstraßen mit glutrotem Staub bedeckt. Noch schliefen Hunde auf ihnen, und Schweine lagen in den wenigen Schattenplätzen. Noch lag der buddhistische Tempel, von Touristen unentdeckt, idyllisch am Ufer des Mekong, von dem aus das benachbarte Thailand zu sehen war. Noch versteckten sich Kinder hinter den Beinen ihrer Eltern, sobald sie mich erblickten. Doch bereits an den Rändern der Nationalstraße, die das Dorf von West nach Ost durchschneidet, änderte sich der Charakter. Hier, wo mehrmals täglich vollklimatisierte Reisebusse Touristen in die laotische Hauptstadt befördern und sich Fernfahrer zum gemeinsamen Bier treffen, verlangten die Dörfler bereits den doppelten Preis für Wasser und Süßigkeiten, und wer es sich leisten konnte, der drehte seinen Fernseher mit der neuesten Karaokemusik stolz zur Straße hin. Was wird wohl in zehn Jahren aus dem charmanten Fischerdorf geworden sein? Werden die Kinder, die sich nicht trauten, mich zu grüßen, dann mit Mopeds über geteerte Strassen fahren und sich die neusten Handymodelle von Nokia und Samsung ans Ohr halten, gekauft vom Geld der Touristen, die diesen Ort entdeckt haben werden? Und fiel mir ein echter Grund ein, ihnen diese Entwicklung zu verwehren?

Ratte mit Gemüse zum Abendessen

Die Sonne stand wie ein gelbes Auge am Himmel, als ich tags darauf in Nam Thone einfuhr. Wolken schienen hier Mangelware zu sein. Vermutlich befanden sie sich alle, wie so oft, in Europa und ganz besonders über Deutschland. Im Zickzack fuhr ich um Wasserbüffel, Hunde, Hühner herum, die sich auf der Nationalstraße tummelten. Einmal mehr übernachtete ich in einem Gästehaus, das umgerechnet zwei Euro kostete und entsprechend eingerichtet war, nämlich: gar nicht. Immerhin verfügte es über ein Doppelbett, auf das ich meinen „Mosquito Dome“ stellte, eine äußerst hilfreiche Konstruktion, leichter als ein Zelt und zuverlässig bei der Abwehr von Insekten aller Art. Er hielt auch die Fledermäuse fern, die in den Wänden hausten und nachts im Raum umherschwirrten.

Auf gut Glück betrat ich ein Straßenrestaurant um was zu essen. Und dort traf ich endlich jemanden, der Englisch sprach. Ihr Name war Lham – vielleicht auch Lang oder Lam. Sie kauerte auf dem Boden des Hauses, das wie immer nur einen Raum hatte, in dem sich alles abspielte: Restaurant, Verkaufsraum, Schlaf- und Wohnzimmer. Als sie mich erblickte, steigerte sich ihr Lächeln zu einem breiten Grinsen. „Hello, I love you, what do you want?” flötete sie mir entgegen. Ich deutete auf gut Glück auf irgendwelche Töpfe, in denen Fleisch und Gemüse brutzelten. Es schmeckte vorzüglich; ich wunderte mich nur, warum alles so klein war. Eine Leber, die ich verspeiste, hatte beispielsweise nur die Größe eines Fingernagels. Ich winkte Lham, Lang oder Lam zu mir und fragte sie erwartungsvoll: „ Chicken?“  - „Rat!“, antwortete sie freundlich und zeigte mir einen Stock, auf den eines dieser Tiere gespießt war.

Ich hatte soeben Ratte mit Gemüse gegessen. Es hatte gut geschmeckt. Später fragte ich Lham, Lang oder Lam, ob sie wisse, wo Deutschland liege. Klar wisse sie das, gab sie zurück, Deutschland liege „after ocean“. Hinter dem Meer also, das war immerhin eine zutreffende Beschreibung. Bevor ich zurück zu meinem Zimmer mit den Fledermäusen ging, fragte ich noch, ob hier jemals ein Tourist gegessen habe. Lham, Lang oder Lam strahlte mich an und schüttelte den Kopf. „Booo“, ließ sie vernehmen, was in diesem Land einer Verneinung gleichkam, „you are first!“. (Fortsetzung in der Ausgabe 02-08).

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