Myanmar könnte ein neuer wirtschaftlicher Tigerstaat in Asien werdenBIRMA/MYANMAR

Asiens nächster „Tigerstaat“?

Myanmar könnte ein neuer wirtschaftlicher Tigerstaat in Asien werden

Gewaltsame Übergriffe radikaler Buddhisten auf Muslime überschatten Birmas Reformprozess. Hoffnungen auf eine friedliche Zukunft rücken in weite Ferne. Militärs und loyale Cliquen kontrollieren die Wirtschaft. Vom Embargo zum Eldorado? Unsicherheiten bestimmen Birmas Perspektiven.

Von Wilfried Arz

Oppositionspolitikern Suu Kyi, Friedensnobelpreisträgerin, führt die NLD-Partei und will Thein Sein im Amt des Staatspräsidenten beerben.
Oppositionspolitikern Suu Kyi, Friedensnobelpreisträgerin, führt die NLD-Partei und will Thein Sein im Amt des Staatspräsidenten beerben.
Foto: Htoo Tay Zar, Wikipedia

Trotz seiner geopolitisch exponierten Lage am geographischen Schnittpunkt zwischen China, Indien und Südostasien ist Myanmar Asiens wirtschaftliches Schlusslicht geblieben. Selbstisolation, eigenverantwortete Misswirtschaft und Wirtschaftssanktionen von USA, EU und Japan haben das Land um Jahrzehnte in seiner Entwicklung zurückgeworfen. Mit dem 2011 eingeleiteten Reformprozess unter Staatspräsident (Generalleutnant a.D.) Thein Sein (68) will sich Myanmar nun als Energie- und Rohstofflieferant und neuer Produktionsstandort im Wirtschaftsraum Südostasien positionieren.

Optimistische Visionen zeichnet eine Studie der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB):  Myanmar habe das Potential zu einem wirtschaftlich dynamischen „Tigerstaat“! Investoren  beurteilen diese Euphorie mit Zurückhaltung und warten auf sichere Investitionsbedingungen. Durst nach neuen Absatzmärkten lockte bereits die US-Unternehmen Coca Cola und Pepsi nach Myanmar. Investoren stehen Schlange. Thailands Botschafter in Yangon Pisanu Suvanajata forderte Unternehmen seines Landes offen auf, sich ein großes Stück vom Kuchen  Myanmar abzuschneiden. Langfristig profitable Geschäfte verlangen jedoch politische Stabilität. 

Buddhistischer Nationalismus

Innenpolitische Stabilität steht in Myanmar latent auf der Kippe. Seit Ende der britischen Kolonialherrschaft (1885-1948) verhindern bewaffnete Konflikte zwischen Militärs und ethnischen Minderheiten eine stabile Staatsbildung. Waffenstillstandsabkommen hatten Hoffnungen auf eine friedliche Lösung genährt. Gewaltsame Attacken von Buddhisten gegen staatenlose muslimische Rohingyas (Oktober 2012) in der Rakhine/Arakan-Region im Norden und jüngste Angriffe (März 2013) auf birmanische Muslime in Zentral-Myanmar (Meikhtila, Bago) offenbaren nun Konfliktformationen einer neuen Dimension. 

Islamfeindliche Übergriffe wurden auch von radikalen buddhistischen Mönchen getragen, die noch 2007 in Myanmars zweitgrößter Stadt Mandalay als Protagonisten der Gewaltlosigkeit  regimefeindliche Demonstrationen in vorderster Reihe angeführt hatten. Buddhistischer Nationalismus wird zu einem neuen brisanten Konfliktauslöser. Staatspräsident Thein Sein verhängte den Ausnahmezustand. Innenpolitisch tritt das Militär damit wieder als Ordnungsmacht auf und rechtfertigt zugleich seinen politischen Führungsanspruch.

Internationale Investoren bewerten die als ethnisch und religiös vermittelten Konflikte als Stolpersteine auf dem Weg zur Öffnung eines der ressourcenreichsten Länder Südostasiens, nicht als Ende des eingeschlagenen Reformkurses. Doch offenbart die Eskalation mit der Kachin-Minderheit (2012) prototypische Konfliktkonstellationen, die auch in anderen rohstoffreichen Regionen Myanmars in Zukunft zu erwarten sein werden: Investitionsprojekte (Staudämme, Bergbau) erfordern Zwangsumsiedlungen von Bevölkerungsgruppen und manifestieren sich zunehmend im gewaltsamen Widerstand.

Von der Diktatur zur Demokratie?

Myanmars Verfassung (2008) und die „Wahlen“ von 2010 haben einen Entwicklungsprozess in Gang gesetzt, der seit 2011 von einer neu formierten Regierung ehemaliger Militärs gesteuert wird: Freilassung der unter Hausarrest stehenden Oppositionspolitikerin Suu Kyi (68), Entlassung politischer Gefangener und die Bereitschaft zum politischen Dialog mit der seit 1990 verbotenen Oppositionspartei NLD (National League for Democracy). Die Zulassung der NLD für Nachwahlen von 43 Parlamentssitzen (April 2012), eine Lockerung der Pressezensur und die Verabschiedung eines Gewerkschafts- und Investitionsgesetzes (2012) wurden in westlichen Medien als Schritte in Richtung Demokratie interpretiert.

Tatsächlich vermitteln jüngste politische Entwicklungen auf den ersten Blick den Eindruck: Myanmar vollzieht eine Transformation von einer autoritären Militärdiktatur (seit 1962) zu einer Demokratie. General Than Shwe (80), seit 1992 zentrale Figur in Myanmars Militärregime, hat sich aus dem politischen Tagesgeschäft zurückgezogen. In den Vordergrund rückte ein loyaler Gefolgsmann auf das neu geschaffene Amt des Staatspräsidenten: Generalleutnant a.D. Thein Sein (68). Hat Myanmar damit den Weg zu einer demokratischen Entwicklung mit einer liberalen Wirtschaft beschritten?

Generalleutnant a.D. Thein Sein ist Staatspräsident Myanmars seit 2011.
Generalleutnant a.D. Thein Sein ist Staatspräsident Myanmars seit 2011.
Foto: Thai Government, Wikipedia

Militär konsolidiert Machtposition

Formal hatten Myanmars Generäle 2011 ihre politische Führung an ein gewähltes Parlament übertragen. Doch garantiert die neue Verfassung (2008) dem Militär ein Viertel aller Sitze im Unter- und Oberhaus sowie den Regionalparlamenten. Handverlesene Kandidaten der regimenahen Partei USDP (United Solidarity and Development Party) stellen dort seit den “Wahlen” (2010) achtzig Prozent der insgesamt über 1000 Abgeordneten.

Politische Macht konzentriert sich in Myanmar im 11-köpfigen Nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrat. Dieser kann im Fall des nationalen Notstandes das Parlament auflösen und die Macht vom Präsidenten auf den Oberkommandierenden der Streitkräfte übertragen. Verfassungsänderungen bedürfen einer parlamentarischen Mehrheit von 75 Prozent. Ohne das Militär bewegt sich in Myanmars Politik auch weiterhin nichts.

Wer lenkt den Reformprozess?

An der Spitze der machtpolitischen Hierarchie in Myanmar stehen keine demokratisch gewählten Zivilisten. Führende Positionen im Staatsapparat bekleiden hochrangige Militärs, die von General Than Shwe ernannt worden waren. Nach einer Regierungsumbildung im August 2012 lenkt eine kleine Gruppe das “Reform”-Projekt:

Generalleutnant a.D. Thein Sein (2004-2007 Regionalkommandeur im Shan-Staat, 2007-2010 Regierungschef, seit 2011 Staatspräsident), dessen Stellvertreter Generalmajor a.D. Aung Min (2001-2003 Regionalkommandeur Süd, jetzt verantwortlich für Beziehungen zu den ethnischen Minderheiten und Kontakte zu führenden birmanischen Dissidenten im Exil) sowie General a.D. Shwe Mann (66) als Parlamentssprecher des Unterhauses.

Obwohl weitgehend im Hintergrund der Medienberichterstattung stehend, kommt General Min Aung Hlaing (55) in der neuen Nomenklatur machtpolitisch eine besondere Rolle zu.  Seit 2011 dient der relativ junge General als Oberbefehlshaber der Streitkräfte, steht als Nachfolger von General Than Shwe an der Spitze der militärischen Machthierarchie und hat  damit zugleich die Aufgabe, den Reformprozess abzusichern.

Militär und loyale Cliquen kontrollieren die Wirtschaft

Fest im Griff hält Myanmars uniformierte Elite mit einigen loyalen Familiencliquen auch die Wirtschaft des Landes: den Bankensektor, Devisen- und Rohstoffhandel, das Transportwesen und den Großhandel sowie lukrative Infrastrukturprojekte. Ausländische Investoren sind gezwungen, joint-ventures (Gemeinschaftsunternehmen) mit einheimischen Partnerfirmen zu gründen. Gewinnbeteiligungen für Unternehmen, die dem Militär nahestehen, werden somit per Gesetz sichergestellt.

Myanmars Wirtschaft wird von einem verschachtelten Firmengeflecht kontrolliert, das loyale Günstlinge des Militärregimes leiten. Zu den großen Konglomeraten zählen: Myanmar Economic Corporation (MEC), Myanmar Economic Holding (MEH) und Max Myanmar Group (MMG). Einflussreiche Wirtschaftsbosse, die ihren immensen Reichtum Konzessionen und Importlizenzen verdanken, sind: Tay Zaw (48) - Eigentümer der Htoo-Firmengruppe und der Fluggesellschaft Air Bagan, Zaw Zaw (47) von Max Myanmar und Tun Myint Naing (59) von Asia World. Letzterer ist Sohn des berüchtigten Drogenbarons Lo Hsin Han (78), der sich durch Opium- und Heroinhandel ein Vermögen zu verschaffen vermochte. Tun Myint Naing gilt als reichster Mann in Myanmar.

Hintergründe des Reformprozesses

Seit Machtübernahme des Militärs (1962) hatte sich Myanmars Entwicklungsrückstand gegenüber allen Staaten in Südostasien dramatisch vergrößert. Die Leistungsbilanz des Militärregimes unter General Than Shwe (seit 1992) ist mehr als dürftig: Myanmars Bruttoinlandprodukt (BIP) schätzt die Weltbank auf 84 Milliarden US-Dollar, das BIP pro Kopf/Jahr auf weniger als 900 US-Dollar. Mindestens ein Drittel der Bevölkerung lebt in Armut. Myanmars desolate Wirtschaftslage steht dabei im Kontrast zum Ressourcenreichtum des Landes. Milliardenerlöse aus Energieexporten (Erdöl, Gas) wurden für die Aufrüstung der Streitkräfte verwendet, nicht in wirtschaftliche und soziale Entwicklung investiert.   

Repressive Herrschaftssysteme, tiefgreifende Wirtschaftsprobleme und Perspektivlosigkeit junger (!) Bevölkerungsgruppen hatten sich im Nahen Osten/Nordafrika zu einer brisanten Mischung sozialen Sprengstoffs entwickelt, wirtschaftlicher Nationalismus den Sturz autoritärer Regime (mit westlicher Unterstützung) eingeleitet. In Myanmar setzten  bewaffneter Widerstand ethnischer Minderheiten und regimefeindliche Demonstrationen (1988, 2007) die Militärregierung latent unter innenpolitischen Druck. Wirtschaftssanktionen des Westens konnten durch engere Anbindung an China entschärft werden, führten jedoch zu neuen Abhängigkeiten der traditionell stets auf Unabhängigkeit bedachten Elite des Landes.

Innenpolitische Machtsicherung

Im Kontext dieser Entwicklungen konzentrierte sich das Militär zunächst zielstrebig auf die Absicherung seiner innenpolitischen Machtposition. Bereits 2003 wurde unter General Than Shwe ein politisches Projekt eingeleitet: der “Sieben-Punkte-Plan”. Ziel war der Übergang von einer autoritären Militärherrschaft zu einer “disziplinierten” Demokratie. Um der Machtkonsolidierung des Militärs einen demokratischen Anstrich zu verleihen, bedurfte es einer neuen Verfassung (2008) und kontrollierter Wahlen (2010). Myanmars Aufschliessen an Südostasiens Wirtschaftsraum ist inzwischen mit einer außenpolitischen Neuausrichtung zum Westen (USA, EU, Japan) eingeleitet worden - erwartungsgemäß gefolgt von einer Aufhebung entwicklungshemmender Sanktionen, die eine Lösung Myanmars aus Chinas wirtschaftlicher Umklammerung erleichtern werden. 

Machtverschiebungen in Asien-Pazifik

Zusätzliche Dynamik erfuhr die innenpolitische Herrschaftssicherung des Militärs durch die machtpolitische Rivalität zwischen China und USA im West-Pazifik. Washington will  Chinas Aufstieg zur Regionalmacht mit einer anti-chinesischen „Einkreisungspolitik“ verhindern - durch verstärktes militärisches Engagement in Südostasien (neue Stützpunkte, Militärabkommen, maritime Militärmanöver, Präsenz von Flugzeugträgern und U-Booten). Geopolitisch ist Myanmar das fehlende Glied einer Kette US-freundlicher Regierungen in Chinas südlicher Nachbarschaft.

Nicht ohne Grund besuchte Präsident Barak Obama im November 2012 deshalb Kambodscha, Thailand und Myanmar. Die politischen Eliten dieser Länder pflegen Gemeinsamkeiten:  undemokratische Herrschaftsmethoden und enge Beziehungen zu China. Letzteres soll sich ändern. Washington will seinen Einfluss (politisch, wirtschaftlich, militärisch) in Südostasien stärken. Südostasiens ASEAN-Staaten sind aber nicht nur als Lieferanten von Rohstoffen und Komponenten für übergreifende Produktionsketten mit Chinas Wirtschaft verflochten. Als Investitionsstandort tritt ASEAN auf den Weltmärkten auch als Konkurrent zu China auf.

Integration in den Wirtschaftsraum Südostasien

Neue Transportkorridore und Energieverbundnetze nehmen in Südostasien seit Jahren Konturen an. Innerhalb ASEAN ist Laos und Myanmar die Rolle als Energielieferant (Gas, Erdöl, Wasserkraft) zugedacht. Hoher Bedarf besteht an mineralischen Rohstoffen: hier bietet Myanmar ebenfalls immense Vorkommen. Auch als neuer Produktionsstandort mit  niedrigen Lohnkosten wird Myanmar von Auslandsinvestoren bereits als Option geprüft.

Bis 2015 will ASEAN zum global größten zollfreien Wirtschaftsraum zusammenwachsen. In diesem Kontext rückt Myanmar ins Fadenkreuz von ASEAN, China und USA. Myanmars Reformprozess bedeutet keinen demokratischen Umbruch seines politischen Systems, sondern eine machtpolitische Konsolidierung des Militärs und zielt auf Anpassung an neue wirtschaftliche und geopolitische Machtkonstellationen in Asien-Pazifik.

Ambivalentes Verhältnis Myanmar-China

China ist seit 1990 führender Investor, Handelspartner und Waffenlieferant Myanmars. Diese Position verdankt Beijing den Wirtschaftssanktionen westlicher Industriestaaten. China (auch Thailand, Südkorea und andere Staaten) nutzte Myanmars Isolation, um sich den Zugriff auf fossile und mineralische Rohstoffe des Landes zu sichern. Von zentraler Bedeutung für China: Myanmar als Transitkorridor für den Import von Erdöl und Gas durch zwei Pipelines vom Bengalischen Golf in die Provinz Yunnan. Damit können Chinas Tankerflotten den langen Seeweg durch die Malakka-Straße meiden - ein potentiell brisantes Nadelöhr, das im Konfliktfall mit den USA von der US-Marine blockiert werden kann.   

Trotz enger wirtschaftlicher Verflechtung ist die Beziehung zwischen China und Myanmar ein asymmetrisches (ungleiches) nachbarschaftliches Verhältnis. Myanmar liefert Energie- und Rohstoffe, China hingegen überschwemmt den birmanischen Markt mit Fertigprodukten. Der von Staatspräsident Thein Sein 2012 überraschend verfügte Baustopp für zwei von China finanzierte Milliardenprojekte (den Myitsone-Staudamm und das Kupferbergbau-Projekt in Letpadaung) signalisierte erstmals eine Zäsur im bilateralen Verhältnis. Stehen beide Länder nun vor einer Abkühlung ihrer Beziehung? Wird China am Ende gar als Verlierer des politischen Reformprozesses in Myanmar dastehen? 

Neues Konfliktpotential: anti-chinesische Stimmung

Ungetrübt ist das Verhältnis zwischen Myanmar und China nie gewesen. Wiederholt waren unkontrollierter Raubbau an Wäldern, Pipeline- und Bergbauprojekte Auslöser für Konflikte mit lokal betroffenen Bevölkerungskreisen. Massive Präsenz chinesischer Händler ist (neben Yangons Chinatown) besonders in Mandalay unübersehbar. Wirtschaftliche Dominanz der Chinesen wird unter Myanmars Bevölkerung seit Jahrzehnten von latenten Ressentiments begleitet. Diese entluden sich bereits in den 1960er Jahren in gewaltsamen Übergriffen gegen Chinesen, im Juni 1967 gar in Angriffen auf Chinas Botschaft. Politische Beobachter schliessen offene Konflikte gegen Chinesen im weiteren Verlauf des Reformprozesses in Myanmar nicht aus. 

Opposition bleibt gespalten

Der institutionelle Umbau des politischen Systems durch Myanmars Militärregime setzt die birmanische Opposition und ethnische Minderheiten unter Zugzwang. In der Bewertung des vom Militär gelenkten politischen Reformprozesses unter Staatspräsident Thein Sein und formal neu geschaffenen politischen Handlungsspielräumen gehen Meinungen auseinander. Das heterogene Profil der Opposition im In- und Ausland bleibt weiter stark zersplittert. Eine Konstellation, die es den Generälen erleichtert, machtpolitische Interessen zum eigenen Vorteil durchzusetzen.

Myanmars Oppositionsspektrum erschöpft sich nicht in der vom Westen als Demokratie-Ikone vermarkteten Friedens-Nobelpreisträgerin Suu Kyi und der von ihr geführten NLD-Partei. Ehemalige studentische Aktivisten (Gruppe der 88er-Generation), politisch aktive Dissidenten im Exil, die birmanische Diaspora (etwa zwei Millionen) und ethnische Minderheiten (ein Drittel der Bevölkerung) fordern ebenfalls ein demokratisches Myanmar. Ein politisches Bündnis zwischen Suu Kyi/NLD und weiteren Oppositionsgruppen sowie den ethnischen Minderheiten ist nicht in Sicht.

Oppositionspolitikerin Suu Kyi in der Kritik

Oppositionsgruppen in Myanmar und Dissidenten im Exil distanzieren sich von politischen Positionen Suu Kyis und dem NLD-Parteiprogramm (1990, 2013). Dort wird eine enge  Zusammenarbeit mit Weltbank, IWF und ausländische Kapitalinvestitionen befürwortet. Kritiker weisen mit Nachdruck darauf hin, dass diese Organisationen weltweit umwelt- und sozialunverträgliche Großprojekte finanzieren - wie China, dessen Megaprojekte in Myanmar  in der Bevölkerung politischen Widerstand ausgelöst haben. Auch beharrliches Schweigen und ambivalente Kommentare der Oppositionspolitikerin zu gewaltsamen Angriffen von Buddhisten gegen Rohingya-Muslime in Arakan/Rakhine stoßen auf heftige Kritik.

Ethnische Minderheiten weiter unter Druck

Myanmars ethnische Minderheiten (offiziell 135) stellen ein Drittel der Bevölkerung von sechzig Millionen (Schätzung 2013), leben jedoch auf fast sechzig Prozent der Staatsfläche (678.000 Quadratkilometer) - in Bergregionen, die das flache Kernland Zentral-Myanmars hufeisenförmig umschließen. Politische Autonomie wird den ethnischen Minderheiten in der Verfassung von 2008 nicht zugestanden. Zentralismus bestimmt weiterhin das politische System. Mit einem guten Grund: Myanmars Minderheiten bewohnen jene ressourcenreichen Gebiete, die in das Fadenkreuz ausländischer Investoren gerückt sind und dem Militär in Zukunft Milliardeneinnahmen bescheren sollen.

Eine Kontrolle über rohstoffreiche Regionen wollen die Generäle deshalb mit allen Mitteln durchsetzen. Myanmars Minderheiten bleiben somit nur zwei Optionen: die Unterzeichnung von Waffenstillstandsabkommen (verbunden mit wirtschaftlichen Zugeständnissen) oder aber die militärische Konfrontation. Die Kachin-Minderheit verweigert sich dem politischen Projekt der Generäle. Darum sind Siedlungsgebiete der Kachin Ziel militärischer Angriffe von Armee und Luftwaffe. In Chinas Nachbarprovinz Yunnan leben inzwischen 130.000 Kachin-Flüchtlinge. Myanmars Generäle sind fest entschlossen, ihre Macht in allen Landesteilen durchzusetzen - notfalls mit Gewalt.

Wahlen 2015: Testfall für Demokratie?

Ende 2015 stehen in Myanmar Wahlen an. Hohe Wahlbeteiligung und ein sicherer Sieg der NLD unter Führung von Suu Kyi werden bereits heute prophezeit. Gleichwohl verfolgt die Oppositionspolitikerin nicht nur einen Wahlsieg für die NLD und damit die Ablösung  der regimenahen Partei USDP. Suu Kyi will den pensionierten General Thein Sein. Diesem Ansinnen steht Myanmars Verfassung entgegen: dort wird Staatsbürgern, die mit Ausländern verheiratet sind/waren, ein Regierungsamt verwehrt. Suu Kyi war mit dem britischen Tibetologen Michael Aris verheiratet (1971-1999) und fordert daher eine Revision der Verfassung. 

Dennoch sollte ein Wahlsieg der NLD unter Suu Kyi 2015 keine voreiligen Hoffnungen auf ein demokratisches Myanmar wecken. 1990 hatte die NLD mit knapp 59 Prozent der Stimmen fast 80 Prozent der Parlamentssitze gewonnen. Das von der Kolonialmacht England übernommene Mehrheitswahlrecht verzerrte den Wählerwillen deutlich. Kleine Parteien  werden benachteiligt und fordern die Einführung eines Verhältniswahlrechts. Dies lehnt die NLD unter Suu Kyi ab. Kommt es vor den Wahlen 2015 zudem nicht zu einer Verfassungsänderung, den garantierten Anteil von 25 Prozent aller Mandate für das Militär zu streichen, könnte es in Myanmar politisch wieder turbulent werden. 

Durchwachsene Zukunftsperspektiven

Langfristig werden Myanmars wirtschaftliche Entwicklungschancen als vielversprechend eingeschätzt: dank einer breiten Ressourcenausstattung und geopolitisch exponierten Lage am geographischen Schnittpunkt zwischen China, Indien und Südostasien. Hier könnte sich Myanmar als Energie- und Rohstofflieferant sowie als Standort für arbeitsintensive und exportorientierte Massenproduktion positionieren. 

Ob die kommenden Jahre auch zu einer spürbaren Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung führen werden, steht auf einem anderen Blatt. Ressourcenreichtum garantiert  keineswegs automatisch soziale Entwicklung. An Beispielen kleptokratischer Eliten, die sich autoritärer Herrschaftsmethoden bedienen, um Gewinne aus Energie- und Rohstoffexporten abzuschöpfen, mangelt es nicht. Transparenz und Demokratie bleiben unverzichtbar. Noch hält in Myanmar jedoch das Militär die Fäden in Politik und Wirtschaft in der Hand.

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Wilfried Arz ist Politikwissenschaftler in Bangkok/Thailand.

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