Neues Leben nach der FeuerbestattungRELIGIÖSER ALLTAG AUF BALI

Neues Leben nach der Feuerbestattung

Neues Leben nach der Feuerbestattung

Auf Bali ist das Leben der Menschen durch und durch vom Hinduismus geprägt – weit verbreitet ist der Glaube an die Reinkarnation. Die kleine indonesische Insel im Indischen Ozean hat mit rund 20.000 Tempeln die wahrscheinlich höchste Tempeldichte der Welt. Besonders beeindruckend sind der Muttertempel Besakih und der Meerestempel Tanah Lot. Dirk Ruppik machte sich auf die Reise.

Von Dirk Ruppik

Komang (re.) und Wahyu (m.) mit einem japanischen Freund  
Komang (re.) und Wahyu (m.) mit einem japanischen Freund
(Fotos: Dirk Ruppik)
 

E s ist kurz vor Weihnachten, als ich auf dem Flughafen in Denpasar auf Bali lande. Wie viele der Besucher fahre ich erst einmal nach Kuta, um ein paar Tage Sonne zu tanken und natürlich um zu surfen. Nach kurzer Zeit lerne ich Komang kennen, der ein einen kleinen Imbiß betreibt und dort balinesische Köstlichkeiten wie Nasi Goreng (gebratener Reis), Nasi Campur (Reis mit Fleisch und Gemüse) und Opor Ayam (Hühnchen in Kokosnußmilch) serviert. Nachdem wir uns angefreundet haben, unternehmen wir bald ausgiebige Touren in das Innere der Insel.

Religion des heiligen Wassers

Bali ist die einzige hinduistische Insel im indonesischen Archipel. Ein Überbleibsel des riesigen Majapahit-Reiches, dessen Aristokraten auf Bali eine Zuflucht vor der Dominanz der Islamisten auf Java gefunden hatten. Die überwiegende Mehrheit der Balinesen glaubt an eine spezielle Form des Hinduismus - Agama Tirtal, auch Religion des heiligen Wassers genannt. Für alle Arten von Zeremonien wird heiliges Wasser benötigt, das nur von Brahmanen (hinduistischen Oberpriestern) hergestellt werden kann. Nur wenige Balinesen sind buddhistischen, bzw. moslemischen Glaubens. Komang, der Hinduist ist, erklärt mir, daß das allerhöchste Wesen auf Bali Sanghyang Widi heißt. Es wird nicht als eine oberste Gottheit angesehen, sondern als Zusammenfassung aller göttlichen Kräfte, in der sowohl die balinesischen Gottheiten als auch die vergöttlichten Ahnen und Naturkräfte verschmelzen. „Sanghyang Widi steht noch über Brahma, Vishnu und Shiva. Ganz zu schweigen von den niedrigeren Gottheiten Dewi Sri (Reisgöttin), Surya (Sonnengott), Candra (Mondgott), Sakenon (Meergott), Hyang Gunung (Berggott) und den unzähligen animistischen Göttern“, erklärt Komang.

Jeden Morgen huldigt Komang einer ganzen Anzahl von Göttern, die er als bedeutend empfindet für sein Leben, und opfert ihnen in einem Bananenblattschächtelchen Reis, Tee und Räucherstäbchen. Ebenso gedenkt er seinen verstorbenen Ahnen. „Wir müssen die Balance zwischen den dämonischen und den göttlichen Kräften respektieren und wahren! Der Geist eines verstorbenen Ahnen lebt mit uns wie ein Familienmitglied. Ereignen sich Schicksalsschläge in unserem Leben, kann das an einem unglücklichen Ahnen liegen, der unsere Aufmerksamkeit benötigt. Mit unseren symbolischen Opfergaben suchen wir seinen Geist friedlich zu stimmen.“

20.000 hinduistische Tempel

Monumentales Geistertor zur Abschreckung von böswilligen Geistern  
Monumentales Geistertor zur Abschreckung von böswilligen Geistern  

Wo fängt man auf Bali an, wenn man einen Überblick über die wichtigsten der nahezu 20.000 hinduistischen Tempel bekommen will? Komang erklärt mir, daß es auf Ostbali einen Muttertempel gibt – den Besakih. Erbaut wurde der Muttertempel im vierzehnten Jahrhundert zu Ehren der heiligen Dreieinigkeit von Shiva, Vishnu und Brahma und gilt als der heiligste Tempel der Insel. Er erhebt sich auf einem uraltem Zeremonienplatz nahe des Berges Gunung Agung. Der 3142 Meter hohe Berg wird als Sitz Shivas und als symbolischer Mittelpunkt des Universums und der Weltharmonie angesehen. Alle Tempel (indonesisch: Pura) sind vom Berg (Kaja) zum Meer (Kelod) ausgerichtet. „Dieser Gegensatz zwischen Kaja und Kelod spielt eine fundamentale Rolle in unserem Weltverständnis,“ betont Komang. „Kaja steht für das Göttliche und Heilige, das Glück- und Fruchtbarkeitbringende. Auf den Bergen wohnen die Götter, die vergöttlichten Naturkräfte und die Geister der Ahnen. Kelod ist hingegen der Wohnsitz der bösen Geister, sowie der Leid und Unheil verursachenden Dämonen. Die Menschen leben zwischen Kaja und Kelod in der Mittleren Welt, die ihnen von den Göttern geliehen wurde.“

„Jedes balinesische Dorf hat drei Haupttempel“, erklärt Komang. „Der Tempel des Ursprungs (Pura Puseh) ist Vishnu geweiht und dient zur Verehrung des Dorfgründers. Er befindet sich immer am Dorfende, das einem Berg zugewandt ist. Der Dorftempel (Pura Desa) in der Ortsmitte ist Brahma geweiht und wird für Zeremonien genutzt, die dem Leben huldigen. Der Tempel des Todes (Pura Dalem) ist Shiva bestimmt und wird zur Verehrung der Götter des Todes genutzt. Dieser liegt am Dorfende, das dem Meer zugewandt ist.“ Ich frage ihn nach der Bedeutung der vielen kleineren Schreine, die ich in den Tempeln Kutas gesehen habe. „Das sind die Merus. Sie sind Familien, Organisationen oder Naturgeistern gewidmet“, entgegnet er. „Außerdem hat jede Familie noch einen Haustempel. Jetzt verstehst Du, warum wir auf Bali 20.000 Tempel haben“, schmunzelt Komang. Jeder Tempel wird durch ein imposantes Tor betreten - das Candi Bentar. Es liegt auf der dem Meer zugewandten Seite und soll Geister abschrecken.

Meerestempel Tanah Lot

Ein guter Einstieg in die balinesische Tempelwelt ist der Tannah Lot. Der Meerestempel ist einer der atemberaubendsten Bauwerke der Insel.  
Ein guter Einstieg in die balinesische Tempelwelt ist der Tannah Lot. Der Meerestempel ist einer der atemberaubendsten Bauwerke der Insel.  

Heute begleitet uns Komangs Schwester Ayang. Zu dritt wollen wir den Meerestempel Tanah Lot erkunden und den berühmten Sonnenuntergang bewundern. Der Tanah Lot ist eines der atemberaubendsten Bauwerke auf Bali. Er wurde von einem Priester aus Java zu Ehren der Wächter des Meeres gebaut, erzählt mir Ayang. Als wir am Tanah Lot ankommen, wartet bereits voller Erwartung eine große Menschentraube auf den farbenfrohen Sonnenuntergang. Die mystische Aura des Tanah Lot verschwimmt mit dem Gequaßle der wartenden Menschen. Trotzdem erinnert die langsam versinkende Sonnenkugel an eine Sagenwelt und ist wunderschön.

  Sonnenuntergang am Tanah Lot
  Sonnenuntergang am Tanah Lot

Tempelbesucher müssen auf Bali eine Reihe von Regeln beachten. „Wenn ich meine Periode habe, darf ich als Frau keinen Tempel betreten,“ sagt Ayang. „Das gilt als unrein. Männer und Frauen müssen einen Sarong (Wickeltuch) und einen Selendang (Binde) um die Hüfte tragen, ebenso ein Kebaya (Hemd mit Ärmeln).“ „Männer setzen sich zusätzlich den traditionellen Udung (Kopfbedeckung) auf,“ ergänzt Komang.

Um die Bergwelt Balis zu erleben, fahren wir zunächst nach Ubud, das Kunst- und Kulturzentrum Balis. Dort treffen wir einen Freund Komangs, den Japaner Wahyu. Er betreibt einen kleinen japanischen Imbiß (Warung) und kann als einer der Prototypen Ubuds durchgehen. Mit den Einnahmen aus seinem Straßenimbiß finanziert er sein Parallelleben als Musiker und Maler. Menschen wie er kommen schon seit circa 80 Jahren nach Ubud, wie z.B. der deutsche Maler Walter Spies und der Holländer Rudolf Bonnet, die die Kunst Balis maßgeblich beeinflußt haben. Beide kamen in den 30er-Jahren, um die balinesische Kunst zu studieren. Schon bald darauf revolutionierten sie die durch traditionelle religiöse Formalismen festgefahrene Malerei. Ein neuer balinesischer realistischer Naturalismus war geboren.

Wahyus Haus in den Reisterrassen  
Wahyus Haus in den Reisterrassen  

Wahyu erzählt uns, daß er die gesellschaftliche Enge Japans nicht mehr ertragen konnte und nach einigen Reisejahren auf Bali hängen blieb, schließlich hier seine neue Heimat gefunden hat. Er kaufte ein kleines Haus am Rande Ubuds in der Nähe der typisch balinesischen Reisterrassen. Sein Imbiß ist heute ein beliebter Treff für Reisende, abends musiziert Wahyu und singt zusammen mit den Gästen. „Tagsüber aber bleibt genug Zeit für meine Malerei“, grinst Wahyu.

  Affentempel im Affenwald
 

Affentempel im Affenwald

Am nächsten Tag besuchen wir mit Wahyu den Affentempel von Ubud. Er  besteht aus einem Totentempel und einem Friedhof in einer Parkanlage mit uralten Bäumen. Eine Heerschar von Langschwanzmakaken bevölkert den Affenwald. Manchmal können die Affen – besonders die Männchen – im Futterneid recht angriffslustig werden. Wahyu schmunzelt: „Einige Inselbewohner sagen, daß die Affen von unruhigen Geistern der Toten besetzt seien. Besser ihr bringt ihnen ein paar Bananen mit.“

Das Ende eines Brahmanen

Die vulkanische Kraterlandschaft des Gunung Batur  
Die vulkanische Kraterlandschaft des Gunung Batur  

Komang und ich fahren weiter zum Gunung Batur, wo wir die Vulkanlandschaft Balis bestaunen. Viele balinesische Mythen haben hier ihren Ursprung. Gunung Batur ist immer noch ein aktiver Vulkan, der bisweilen Asche und Feuer speit. „Bei der großen Eruption von 1917 wurden 65.000 Häuser zerstört, Tausende Menschen kamen dabei um,“ erklärt Komang. „2.500 Tempel und das komplette Dorf Batur wurden danach auf die andere, die sicherere Seite des Berges verlegt.“ Eine Besteigung des Gunung Batur gilt nach wie vor als einer der Höhepunkte einer Balireise.

  Balinesische Mädchen bitten uns lachend in den Pura Dalem (Tempel des Todes)
  Balinesische Mädchen bitten uns lachend in den Pura Dalem (Tempel des Todes)

Auf dem Rückweg machen wir Rast in einem kleinen Dorf am Wegesrand und geraten unverhofft in die Bestattungszeremonie eines verschiedenen Brahmanen. Mehrere Frauen und Mädchen bringen Opfergaben in einem Tempel dar. Komang erklärt mir, daß es sich hier um einen Tempel des Todes (Pura Dalem) handelt. Ein Dorfbewohner lädt uns ein, auch an der eigentlichen Bestattungsfeier auf dem Dorffriedhof teilzunehmen – hier wird der Leichnam des Brahmanen öffentlich verbrannt. Meine Neugierde ist zunächst noch zurückhaltend, schließlich wußte ich nicht, ob die Einheimischen meine Anwesenheit als pietätlos empfinden würden. Doch der Insulaner begegnet meinem anfänglichen Zögern mit einem resoluten „Kein Problem!“.

Die Familie des Brahmanen schaut der Verbrennung seelenruhig zu  
Die Familie des Brahmanen schaut der Verbrennung seelenruhig zu  

„Wir Balinesen glauben an die Reinkanation“, beruhigt mich Komang. „Natürlich ist die Familie traurig, wenn ein Angehöriger stirbt. Doch meist hält die Traurigkeit nur ein paar Tage an. Danach macht sie der Zuversicht Platz, daß der Tote schon auf dem Weg in ein neues Leben ist. Wir glauben wie die Inder an die Wiedergeburt in eine andere Existenz. Das kann als Mensch oder Tier sein.“ Daher ist es also möglich, daß die Familie in aller Seelenruhe der Verbrennung zuschaut und keinerlei Scheu zeigt. Balinesische Bestattungsfeiern sind nicht Trauer-, sondern Freudenfeste, auf denen die Befreiung der Seele vom Körper gefeiert wird. Der Tote wird zuerst gewaschen, dann neu eingekleidet, erklärt mir der Zeremonienmeister (Brahmane). Danach wird er für die Freunde und Bekannten im Haus der Familie aufgebahrt, damit jeder Abschied nehmen kann.

Befreiung vom eigenen Körper

  Verbrennung des verschiedenen Brahmanen mitsamt des Bambussarges
  Verbrennung des verschiedenen Brahmanen mitsamt des Bambussarges

Meistens kann der Tote aber nicht direkt verbrannt werden, da der Familie hierzu oft das Geld fehlt. Deswegen wird er vorübergehend begraben und manchmal zusammen mit anderen Familienmitgliedern verbrannt, sobald genug Geld da ist. Dazu wird ein astrologisch besonders günstiger Tag bestimmt. Im Falle des gesellschaftlich hoch stehenden Brahmanen ist es allerdings anders. Er kann sofort verbrannt werden. „Angehörige und Dorfbewohner bauen zusammen einen Bambussarg und fertigen Schmuck - ebenfalls aus Bambus – für die Begräbnisfeier an,“ sagt der Brahmane. „Vom Haus des Verstorbenen wird der Sarg im Zickzackkurs mit viel Lärm zum Friedhof gebracht, damit die Seele des Toten den Weg nicht mehr zurückfinden kann. Der Bambussarg mit dem Toten wird mit Hilfe einer riesigen tauchsiederartigen Gaszuleitung verbrannt. Danach wird die Asche in einer Prozession zum Meer gebracht und dort verstreut.“ Und Komang fügt hinzu: „Die Seele wird sozusagen vom Körper befreit, damit sie zum Himmel aufsteigen kann. Und die Asche wird entsprechend der dualistischen Idee unseres Glaubens dem Meer übergeben.“

Nachdenklich kehre ich mit Komang nach Kuta zurück, wo uns ein ganz anderes Bali empfängt – das der Surfer, Traveller und Pauschaltouristen. Der Touristenrummel dort steht im argen Widerspruch zum traditionellen Leben auf Bali. Lange Zeit noch beschäftigen mich die vielfältigen und widersprüchlichen Eindrücke meines Besuchs auf Bali.

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Dirk Ruppik ist freier Journalist und arbeitet vorwiegend in Asien zu den Themenbereichen Reise, Gesundheit und Wohlbefinden, Gesellschaft und Technik. Nach seinem Ingenieurstudium und einem Aufbaustudium zum China- und Südostasien-Experten war er mehrere Jahre als Redakteur und Chefredakteur für Magazine tätig.

Zudem ist er Qi Gong- und Tai Chi-Lehrer. E-Post: SL2SL@web.de

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