Nördliche Territorien oder südliche Inseln?JAPAN-RUßLAND

Nördliche Territorien oder südliche Inseln?

Nördliche Territorien oder südliche Inseln?

Auf den Kurilen, einer Inselgruppe im Ochotskischen Meer, lagern vermutlich 360 Mio. Tonnen Öl. Außerdem Gold, Eisen, Titan und andere Schätze. Seit Jahrzehnten streiten Japan und Rußland um die Region – auch ein neuer Kompromißvorschlag der russischen Regierung wird keine Einigung bringen.

Von Veronika Wengert

Die Kurilen - ein Zankapfel seit nunmehr 60 Jahren  
Die Kurilen - ein Zankapfel seit nunmehr 60 Jahren  

Ein wenig erinnern sie an eine Perlenkette, deren einzigartige Glieder sich in großzügigem Abstand an Rußlands Ostküste schmiegen: Die Kurilen, deren mehr als 30 größere und unzählige kleine Inseln auf der Landkarte wirken, als seien sie von zittriger Hand aufgefädelt – ungleichmäßig, aber dennoch eine Einheit bildend. Über 1.200 Kilometer schlängeln sich die Inseln durch den rauhen Pazifik, fast wie eine Brücke reichen sie von der Halbinsel Kamtschatka im äußersten Nordosten Rußlands bis kurz vor die japanische Halbinsel Hokkaido.

Einst Vorposten im Kalten Krieg

Nur vier Kilometer sind es hier, die Rußland von Japan trennen. Für geübte Ruderer eine leicht zu bewältigende Strecke, könnte man zunächst annehmen – zu Zeiten des Kalten Krieges reine Utopie: Damals gab es wohl keine andere sowjetische Grenze, die besser überwacht gewesen wäre. Schuld daran waren die mächtigen Abhöranlagen der USA, die in allernächster Nachbarschaft auf der japanischen Insel Hokkaido plaziert worden waren. Mit ihrer weitreichenden Kapazität konnten sie sogar das Geschehen in Sibirien aufzeichnen. Auf die amerikanische Spionagetechnik direkt vor den eigenen Toren reagierte die Sowjetunion Ende der siebziger Jahre mit einer Division Bodentruppen und 40 Jagdbombern vom Typ MIG-23B. Hokkaido sah sich durch diesen Militärstützpunkt bis Mitte der neunziger Jahre bedroht.

Auch wenn sich der politische Wind heute gedreht hat, bleiben die Kurilen seit nunmehr 60 Jahren ein Zankapfel: Die Sowjetunion hatte die Inseln zum Ende des Zweiten Weltkriegs besetzt, ein Friedensvertrag war unter anderem wegen der amerikanischen „Aktivitäten“ auf Hokkaido nie unterzeichnet worden. Tokio fordert daher bis heute die drei südlichen Inseln Etorofu (russisch: Iturup), Shikotan, Kunashiri und die Habormai-Gruppe vor Nemoru zurück, auf denen bis 1946 etwa 11.600 Japaner lebten, die damals das Land verlassen mußten. Die territorialen Forderungen Tokios umfassen fast die Hälfte der Gesamtfläche der Kurilen, die etwa 15.600 Quadratmeter ausmacht. In Japan werden die südlichen Kurilen bis heute nur die „nördlichen Territorien“ genannt.

Der Reichtum der Inseln erschwert eine politische Lösung

Erst vor wenigen Wochen hatte die russische Regierung über einen Kompromiß nachgedacht: Zwei der vier Kurilen sollen an Japan zurückgegeben werden. Diesen Vorschlag lehnte der japanische Premierminister Junichiro Koizumi jedoch strikt ab. Nach einer Sitzung des russisch-japanischen „Rates der Weisen“ wurde Rußlands Position noch deutlicher: Moskaus Oberbürgermeister Juri Luschkow, der zugleich Vorsitzender des Rates auf russischer Seite ist, sagte deutlich, daß die Lösung des Territorialstreites den kommenden Generationen überlassen werden solle – notwendig sei jedoch ein vernünftiger Kompromiß.

In diesen Tagen veröffentlichte das russische Ministerium für Naturressourcen nun einen Bericht, in dem der Reichtum der Inselgruppe dargestellt wird: Öl, Gas, Gold, Eisen, Titan und andere Mineralien, deren Abbau bislang praktisch noch nicht in Angriff genommen wurde. Schätzungen zufolge sind es 364 Millionen Tonnen Öl, die vor den Inseln lagern. Nun plant die russische Regierung ein Programm zur Verbesserung der Infrastruktur und der Förderung der Bodenschätze. Die Naturressourcen seien so wertvoll, daß Rußland die Kurilen nicht aufgeben könne, erklärte das Ministerium russischen Medienberichten zufolge.

Ein Paradies für Natur- und Tierfreunde

Auf den ersten Blick sind die Kurilen eine sehr unwirtliche Region: Mehr als 40 aktive Vulkane überziehen die Inseln, wobei der höchste Gipfel Alaid auf Atlasow 2.339 Meter mißt. Die Wahrscheinlichkeit von Erdbeben ist sehr hoch, auch mit Seebeben muß gerechnet werden: 1952 kamen infolge eines Tsunamis mehr als 2.300 Bewohner der nördlichen Inseln Paramushir und Shumshu ums Leben, die Stadt Sewero-Kurilsk wurde damals fast völlig zerstört. Dichte Nebelbänke, Fröste und Stürme, die durchaus eine Geschwindigkeit von 40 Metern pro Sekunde erreichen können, prägen das rauhe Klima.

Für Natur- und Tierfreunde gelten die Kurilen jedoch als eine der schönsten Landschaften der Welt: Die einzigartige Flora und Fauna ist durch die Isolation von der Außenwelt weitgehend erhalten geblieben, mehr als 4.000 Flüsse und Gewässer durchziehen die Landschaft. Seltene Pflanzenarten wie die „steinerne Birke“ oder der Kurilen-Bambus sind nur hier anzutreffen, viele Spezies sind in die rote Liste der gefährdeten Tier- und Pflanzenarten aufgenommen.

Unschätzbare Bioressourcen bergen auch die Gewässer rund um die Kurilen, die als eines der größten Fischfanggebiete Rußlands gelten: mehrere Lachs-Arten, Hering, Flunder, Makrele, Heilbutt, Krabben, Shrimps und Muscheln sind nur einige Reichtümer, die die Natur hier zu bieten hat. Auch die Ainu, die Ureinwohner der Kurilen, leben traditionell vom Fischfang, aber auch von der Jagd. In ihrer Sprache bedeutet die Silbe „Kur“ übersetzt so viel wie „Mensch“ oder „Volk“. Seit etwa 25.000 Jahren siedeln die Ainu auf den „Inseln des Volkes“. Angesichts solcher historischer Konstanz verliert das politische Tauziehen zwischen Tokio und Moskau fast seine Bedeutung.

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Die Autorin ist Korrespondentin von n-ost. Das Netzwerk besteht aus über 50 Autoren in ganz Osteuropa und berichtet regelmäßig für deutschsprachige Medien aus erster Hand zu allen Themenbereichen. Ziel von n-ost ist es, die Wahrnehmung der Länder Mittel- und Osteuropas in der deutschsprachigen Öffentlichkeit zu verbessern. Weitere Informationen unter www.n-ost.de.

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