Vom Zynismus des Hungers - Gedanken zwischen Reis und SpritVIETNAM

Vom Zynismus des Hungers - Gedanken zwischen Reis und Sprit

Vom Zynismus des Hungers - Gedanken zwischen Reis und Sprit

Nicht Missernten sind es, die weltweit die Nahrungsmittelpreise in schwindelerregende Höhen treiben. Es sind die Leute vor den Börsencomputern, die Glücksritter, die den Ärmsten das Brot so sehr verteuern, dass sie Hunger leiden müssen. Sie hungern, damit der Börsenspekulant reich wird. Satt ist der immer.

Von Jan Balster

W enn ich sonntags diese weiße, klebrige Masse aus dem Kochtopf  schöpfe, mir der Wasserdampf in die Nase steigt, dann denke ich an Hung. Dann sehe ich ihn, dazu eine Horde älterer Landarbeiter in den Feldern Vietnams stehen. Ihr hartes Leben hat sich tief in die Falten ihrer Gesichter gebissen. Manchmal waten sie den gesamten Tag knietief im Wasser. Sie hacken, sie graben, sie pflanzen, meist in gebückter Haltung. Sie treiben ihren Wasserbüffel voran, das Arbeitstier, welchem sie nur dann die Rute geben, wenn es träge wird. Sie lieben ihn, den oft einzigen Besitz. Das merkt man, wenn man hört, wie sie ihm zureden, wenn sie mit der Hand über seinen Rücken streifen. Dazu bedarf es keiner Sprachkenntnisse. Es genügt dem Tonfall der Reisbauern zu lauschen.

Hung plagt sich, während er dem Vater hilft. Und der Vater sagt dann: „Die Jungen sind diese Knochenarbeit nicht mehr gewöhnt, aber essen wollen sie auch.“ Dennoch freut er sich, wenn ihn die Jungen aus der Stadt besuchen und ihm ein paar Handgriffe abnehmen.

Weit weg im Supermarkt macht der Geiz gierig

Das Leben dieser Menschen ist für uns weit weg und geht uns nichts an, wenn wir als Konsumenten durch die Supermärkte drängeln. Immer sind wir auf der Suche nach dem Schnäppchen. Und die Werbeindustrie macht uns dabei noch ein gutes Gewissen. Geiz macht gierig!

Doch zurzeit will bei unseren Shoppingtouren nicht so die rechte Freudenstimmung aufkommen. Die Preise für Weizen, Mais, Milch, Öle und Reis sind in den vergangenen anderthalb Jahren dramatisch gestiegen. Dies wiederum kann für den, der als Spekulant an den Börsen tätig ist, von äußerster Wichtigkeit sein. Kein anderes Thema beschäftigt solche Menschen mehr. Oft können sie zwischen Immobilienkrise und Konsumentenmisstrauen nächtelang nicht ruhig ins Bett kriechen.

Die Agrarkurse an der Chicagoer Board of Trade sind kräftig geklettert. Was für ein Festival gab es dort, als im April der Reispreis auf den Märkten der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince um beinahe 80 Prozent anstieg. Diese Sprünge erleben wir sonst nur bei Öl oder New Ökonomie Titeln. Genau dort traden nun die schlimmsten Profiteure. Sie verdienen übermäßig viel Geld damit, dass die Nahrungsmittelpreise anschwellen. Hier lebt der Zynismus: die Weltbörsen verbrauchen keine Nahrungsmittel, aber sie sind es, die die Weltmarktpreise in die Höhe treiben.

Es gibt genug Reis für jedermann

Genau dort schlummert die Bosheit. Obwohl es genügend Reis für jeden Menschen gibt, erhalten viele nicht eine Schüssel dieses Grundnahrungsmittels. Sie können sie einfach nicht mehr bezahlen. Hungeraufstände sind die Folge. Häufig gibt es Tote wie bei den jüngsten Unruhen in Haiti. Dann haben die Fernsehsender etwas zu berichten. Actionreich. Es füllt die Lücken, wenn mal nicht gerade ein kriegerischer Anschlag auf ein westliches Land tobt, der Skandal eines populären Politikers genüsslich zu betrachten ist oder sich ein unternehmerischer Lobbyist in einem afrikanischen Kinderheim zeigt. Hungeraufstände sind in unserer satten westlichen Gesellschaft allemal interessanter. Die Berichte darüber sind spannender, als die alltäglichen verhungernden, bettelnde Kinder, Frauen und Männer. Es gibt Tote. Aber immerhin: man redet darüber.

Man versucht Ursachen zu finden. So nimmt die deutsche Welthungerhilfe an, dass die erhöhte Nachfrage nach Biosprit, die teuren Energiepreise, die ersten Auswirkungen des Klimawandels und vermehrte Dürren schuld seien. Doch werden nicht auch Nahrungsmittel von gewinnbewussten Händlern in Speichern zurückgehalten? Einzig in Vietnam, neben Thailand der größte Reisexporteur der Welt, drohen harte Strafen für Reisprofiteure. Stattdessen beschäftigen beispielsweise die Philippinen eine Armee, um die Menschen, welche ihren Reis nicht bezahlen können, von den Ausgabestationen fern zu halten. Offiziell nennt man das Verhindern von Plünderungen. Aber: es werden diejenigen Menschen geschützt, die darauf wetten, dass sie ihren gelagerten Reis mit noch mehr Gewinn verkaufen können. Tritt dieser Faktor nicht ein, vergammeln die Nahrungsmittel in den Silos.

Bauern, die nichts mehr verdienen, können auch nichts mehr kaufen

Obendrein wird nicht nur an die Lebensmittelindustrie verkauft. Zahlt diese zu wenig, wie beispielsweise beim Mais, so entschließt man sich wie Amerika, diesen nicht nach Mexiko zu geben, sondern lieber an Biosprithersteller zu verkaufen. Wie skrupellos muss ein Mensch sein, der seinen Nachbarn verhungern lässt, weil sein Auto immer mehr Sprit braucht, weil er schlicht zu faul ist, zum nächsten Supermarkt 200 Meter zu Fuß zu gehen. Da erscheint der Ratschlag zur landwirtschaftlichen Flächenausdehnung beinahe schon zynisch.

Denn in Südasien ist eine Erweiterung kaum noch möglich. Dort werden bereits 94 Prozent der Anbauflächen landwirtschaftlich verwertet. Eine Ausdehnung ist maximal in Russland oder Lateinamerika möglich. Aber das reicht nicht aus, dazu braucht man Bauern und diese sind nur da, wenn die hohen Preise auch bei ihnen ankommen. „Wenn wir Bauern zu wenig verdienen“, sagte mir Hungs Vater schon vor drei Jahren, „dann sind wir auch keine Konsumenten mehr. Wir werden nichts mehr kaufen, weil wir ganz einfach kein Geld mehr haben. Dazu brauche ich kein Studium der Volkswirtschaften, um das zu begreifen.“

Asien Wirtschaft

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