Von einem der auszog, durch das eurasische Spiel Go ein stärkerer Mensch zu werdenEM-INTERVIEW

Von einem der auszog, durch das eurasische Spiel Go ein stärkerer Mensch zu werden

Von einem der auszog, durch das eurasische Spiel Go ein stärkerer Mensch zu werden

Er heißt David Seibt, ist gebürtiger Berliner und lebt seit August in Tokio, um das in China erfundene, in Japan verehrte und inzwischen in ganz Eurasien verbreitete Brettspiel Go zu erlernen. Im Gespräch mit dem Eurasischen Magazin spricht der neunzehnjährige David über seine Beweggründe, seine Ziele und Hoffnungen.

Von Anne Trinks

  Go - das eurasische Spiel
  In Asien soll es in vielen Unternehmen für Topmanager Pflicht sein das Jahrtausende alte strategische Spiel Go zu beherrschen. Es ist älter als das in Indien erfundene Schach und hat seinen Ursprung ebenfalls in Eurasien: im alten China. Dort hat man es schon vor 4.000 bis 5.000 Jahren gespielt. Es gilt als ältestes Brettspiel der Menschheit. Der Name des legendären Spiels ist so einfach wie seine Spielregeln. Es heißt Wéiqí, gesprochen etwa „Wei-tsi“, zu Deutsch „Umzingelungsspiel“. In Korea nennt man es Baduk, die Japaner sagen Go. Und da das Spiel via Japan in den Westen gelangt ist, wurde Go außerhalb Chinas sein gebräuchlicher Name.

Go ist ein Spiel für zwei Personen. Es wird auf einem Brett mit 19 mal 19 Linien gespielt. Die Spieler setzen abwechselnd einen ihrer Steine (schwarz bzw. weiß) auf einen Schnittpunkt der Linien. Ziel ist es, soviel freie, unbesetzte Schnittpunkte wie möglich mit seinen Steinen zu umzingeln. Rein theoretisch könnte man 361 Steine platzieren. Im Schnitt werden 200-300 Steine in einem Spiel gesetzt. Es endet entweder durch Aufgabe oder dadurch, dass beide Spieler keine sinnvollen Züge mehr erkennen.

Das Go nahm seinen Weg vor etwa 1.300 Jahren von China über Korea nach Japan. Bis vor etwa 300 Jahren war das Go-Spiel zunächst ausschließlich eine Beschäftigung der höfischen Kreise. Später verbreitete es sich weit darüber hinaus. Im 17. Jahrhundert ließ die japanische Regierung sogar Go-Schulen einrichten. Mit der japanischen Kulturtradition ist Go ebenso verbunden wie Sumo-Ringen, die Tee-Zeremonie, Kendo oder die Kunst des Bogenschießens.

Über Japan kam das eurasische Brettspiel Go nach Europa

In Europa taucht Go 1881 zum ersten Mal durch die Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Natur- und Völkerkunde auf. Besonders beliebt war Go in Deutschland während der Jahre 1938 bis 1941. Damals, zur Zeit der deutsch-japanischen „Waffenbrüderschaft“ wurden sogar Fernpartien zwischen den beiden eurasischen Ländern ausgetragen, Berlin gegen Tokio, Hamburg gegen Nagasaki.

In einer Mitteilung auf der Netzseite des deutschen Go-Verbandes heißt es: „Go fasziniert durch Einfachheit und Komplexität gleichermaßen. Es verfügt nur über wenige, leicht zu erlernende Regeln, bietet aber auf dieser Basis eine nahezu unbegrenzte Anzahl von Möglichkeiten. Während die Regeln jedem Interessierten in fünf Minuten erklärt werden können, reicht ein ganzes Menschenleben nicht aus, um die Tiefen des Spiels vollends zu ergründen.“ Selbst die professionellen Go-Spieler in Fernost würden niemals in ihrem Leben zweimal die gleiche Partie spielen. Jede sei anders. Die Zahl aller möglichen Züge läge nicht nur ungleich höher als beim Schach, sondern übersteige sogar die von Einstein errechnete Anzahl der Atome im Universum.
Als einer der ältesten Go-Clubs in Europa beging der in Berlin ansässige im November sein 100jähriges Bestehen. Eines seiner Mitglieder, der neunzehnjährige David Seibt, lernt seit August die Feinheiten des Spiels in Japan (siehe Interview).
Schüler als Hikaru und Sai verkleidet. Beide Figuren aus dem Manga "Hikaru no Go" haben viele Jugendliche weltwweit auf Go neugierig gemacht - auch David Seibt. Die Wandrollbilder im Hintergrund sind Originalhandschriften berühmter japanischer Go-Profis.  
Schüler als Hikaru und Sai verkleidet. Beide Figuren aus dem Manga "Hikaru no Go" haben viele Jugendliche weltwweit auf Go neugierig gemacht - auch David Seibt. Die Wandrollbilder im Hintergrund sind Originalhandschriften berühmter japanischer Go-Profis.
(Foto: Sabine Wohnig)
 

E urasisches Magazin: Du bist nach Tokio gegangen, um Go zu lernen. Gibt es dort eigene Schulen für dieses Spiel, oder wo erhältst Du Deine Ausbildung?

David Seibt:  Ich spiele am Wochenende in der Insei-Liga. Zwischen den Spielen lerne ich und andere Schüler von den Profis. Darüber hinaus belege ich einen Gruppenkurs und besuche ein Kenkyu-kai. Das ist eine spezielle Studiengruppe meines offiziellen Lehrers, Jyo Kenmochi-sensei.

EM: Was ist ein Insei und kann das jeder werden?

David: Ein Insei ist in der Go-Welt ein Spieler, der in Japan, China oder Süd-Korea Profi werden möchte. Er ist typischerweise sehr jung. In Japan muss sein Alter normalerweise unter 18 Jahren liegen. Für Westler gilt diese Regelung nicht. Und er muss über eine gewisse Spielstärke verfügen. In Japan sind die schwächsten Insei in etwa auf dem Niveau eines europäischen vierten Dan.

EM: Was kostet eine solche Ausbildung?

David: Die Teilnahme an der Insei-Liga kostet umgerechnet etwa 100 € pro Monat, alles Weitere hängt vom jeweiligen Insei ab. Grundsätzlich gilt aber, dass für Europäer der Aufenthalt in Japan ungleich viel teurer ist als die eigentliche Insei-Ausbildung.

„Für Nicht-Asiaten ist der Sprung zum Go-Profi äußerst schwer“

EM: Möchtest Du denn selbst auch Profi werden?

David: Nein. Die Wahrheit ist, selbst wenn ich es wollte, wäre ich wahrscheinlich zu schwach und zu alt. Nur jeder dritte Insei schafft den Sprung zum Profi. Ich unterhielt mich erst letztens mit einem Bekannten darüber, dass der Berufswunsch Go-Profi zu werden, speziell für Nicht-Asiaten ein großes Risiko darstellt. Es gibt Beispiele von jungen Spielern, die ihre Ausbildung abbrachen und ihre Heimat verließen, um Profi zu werden. Als sie es dann nach Jahren des Trainings einfach nicht schafften, standen sie in ihrem Heimatland vor dem Nichts.

EM: Wie hast Du Go eigentlich kennen gelernt?

David: Tatsächlich kennen gelernt habe ich es mit 15 durch die Lektüre von „Hikaru no Go“, dem berühmten Manga der japanischen Comic-Autorin Yumi Hotta. Ich mochte die Geschichte und habe danach beschlossen, die Regeln zu lernen.

„Es gibt viele Parallelen zwischen dem Go-Spiel und dem Leben“

David Seibt im Gebäude des Nihon Kiin in Tokio, wo er lernt und vielen hohen Go-Profis begegnet. Hier finden auch die Insei-Liga-Turniere statt.  
David Seibt im Gebäude des Nihon Kiin in Tokio, wo er lernt und vielen hohen Go-Profis begegnet. Hier finden auch die Insei-Liga-Turniere statt.  

EM: Was ist für Dich das Besondere an Go?

David: Schwer zu erklären. Grundsätzlich kann ich sagen, dass das Spiel sehr viel mit Logik und Kreativität zu tun hat und das liegt mir. Wer sich ein bisschen intensiver mit Go beschäftigt, wird feststellen, dass es viele Parallelen zwischen dem abstrakt wirkenden Go und dem Leben an sich gibt. Ich denke daher, dass ich durch mein Go-Studium nicht nur ein stärkerer Spieler, sondern auch ein Stück weit ein stärkerer Mensch sein kann.

EM: Hast Du noch andere Hobbies?

David: Ja, ich schreibe und zeichne sehr gerne und normalerweise auch viel, aber dafür habe ich im Moment überhaupt keine Zeit. Go hält mich total in Atem.

„Ich unterhalte mich mit den Japanern auf Go“

EM: In welcher Sprache unterhältst Du Dich mit Mitschülern und Lehrern?

David: Das mag jetzt komisch klingen, aber eigentlich unterhalte ich mich mit ihnen – wenn überhaupt - auf Go. Mein Japanisch ist noch nicht gut genug, um ein vernünftiges Gespräch führen zu können und Englisch ist hier ungefähr so verbreitet, wie Japanisch in Deutschland. Dennoch verstehe ich, was mir die Lehrer sagen wollen, wenn sie es mir auf dem Brett zeigen. Go hat ein sehr weit reichendes eigenes Fachvokabular, welches ich zum Glück beherrsche. Mit zwei anderen Europäern, die  hier ebenfalls lernen, unterhalte ich mich auf Englisch. Ich bin sehr dankbar, dass sie hier sind.

EM: Gibt es etwas, woran Du Dich in Japan nur schwer gewöhnen kannst?

David: Ja, es gibt ein paar Sachen, an die kann und will ich mich auch gar nicht gewöhnen. Vor allem ist das der mangelnde Kontakt mit Menschen. Japaner sind ja bekannt dafür, wie zurückhaltend sie sind, wenn es um neue Kontakte mit Menschen geht. Ganz besonders ist das bei Ausländern der Fall. Aber ich hätte es mir nie so schwer vorgestellt, diese Brücke zu schlagen. In Berlin trifft man sich mal hier und mal da. Es gibt wenig Vorbehalte bei neuen Bekanntschaften. In Japan ist das einfach nicht möglich.

EM: Welches Ziel hast Du Dir für den Aufenthalt in Japan gesetzt?

David: Ich plane ein Jahr hier zu bleiben, also bis nächsten August. In dieser Zeit möchte so ich viel über Go lernen, wie nur möglich. Außerdem wäre es toll, wenn mein Japanisch in diesem Jahr ein einigermaßen annehmbares Niveau erreichen würde, das es mir erlaubt, auf Dauer mit Japanern in Kontakt zu bleiben.

„Die Öffentlichkeitsarbeit des Go-Verbandes muss besser werden“

Go-Turnier in Berlin. Vorne rechts David Seibt, der inzwischen in Tokio lebt und dort das eurasische Spiel lernt.  
Go-Turnier in Berlin. Vorne rechts David Seibt, der inzwischen in Tokio lebt und dort das eurasische Spiel lernt.
(Foto: Go-Verband Berlin)
 

EM: Warum ist Deiner Meinung nach Go in Deutschland noch so wenig bekannt?

David: Die Geschichte des Go in Deutschland ist verglichen mit der in asiatischen Ländern unfassbar kurz. Ein Schachbrett existiert bei uns in fast jedem Haushalt, ein Go-Brett wird man eher selten finden. Ich denke, dass auch die Öffentlichkeitsarbeit des Go-Verbands noch besser werden muss. Ich habe in Japan einem Seminar für Anfänger beigewohnt und war beeindruckt, mit was für einem Aufwand für das Spiel geworben wird. In Deutschland fehlt dafür einfach das Geld. Das ist schade.

EM: Meinst Du, dass deutsche Go-Spieler auch einmal zur Weltspitze gehören könnten?

David: Es ist völlig egal, woher ein Mensch kommt. Jeder kann Go lernen. Wir haben es an Hans Pietsch gesehen, der der erste, allerdings bislang auch der einzige deutsche Go-Profi war. Er hat gezeigt, dass es auch für Europäer möglich ist, Go-Profi zu werden. Ein weiteres Beispiel für einen nicht-asiatischen Profi ist Michael Redmond, ein Amerikaner, der den höchsten Dan-Grad, den 9. Dan erreicht hat.

„Wir brauchen ein eigenes Profi-System für Go in Europa“

EM: Welche Voraussetzungen müssten Deiner Meinung nach geschaffen werden, um hierzulande eine breitere Bewegung für Go zu erreichen?

David: Nötig wäre ein eigenes Profi-System in Europa. Heute muss ein Europäer, der Profi werden will, nach Asien auswandern, das ist eine riesige Hürde, die für die weitaus meisten nicht zu überwinden ist. Eine Ausbildungsstätte für europäische Insei würde dieses Problem lösen. Ich weiß, dass es vor allem in Osteuropa sehr viele starke junge Spieler gibt, die gerne Profi werden würden, aber wenig Aussichten haben, damit in ihren Heimatländern ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch dieses Problem könnte von einem europäischen Profi-Verband zumindest teilweise gelöst werden. Derzeit fehlt es dafür aber noch an Material und Mitteln. Ich denke da an gute Go-Bücher auf Englisch oder Deutsch, an ausreichend Spielmaterial, an geeignete Räumlichkeiten und vor allem an qualifizierte Lehrer.

EM: Warum sind Ostasiaten überhaupt bessere Go-Spieler? „Ticken“ sie anders als wir?

David: All das, was ich gerade beschrieben habe, gibt es in den asiatischen Ländern. Ich denke, das ist ein wesentlicher Grund. Ein weiterer Grund ist, dass das Spiel sehr viel mit der asiatischen Philosophie zu tun hat. Beim Go geht es nicht darum den Gegner zu vernichten, es geht um Balance, um Geben und Nehmen, Angriff und Verteidigung. Ich denke, dass das für Asiaten vielleicht leichter verständlich ist.

EM: Was hast Du für Zukunftspläne?

David: Es mag in den Ohren bestimmter Menschen kitschig klingen, aber ich habe bei dieser Frage immer ein Zitat des afrikanischen Gitarristen, Offiziers und Politikers Thomas Sankara im Kopf: „Ich wünsche, dass man von mir das Bild eines Mannes in Erinnerung behält, dessen Lebensführung nützlich für alle war. Ich möchte kein Mensch sein, der nur für sich selbst kämpft, sondern für die Anderen und mit den Anderen.“

EM: David, habe herzlichen Dank für dieses Gespräch.

*

Mehr von David Seibt: David hat seit Beginn seines Japanaufenthalts ein sehr witziges Tagebuch ins Netz gestellt. Hier die Adresse des Blogs: http://davidintokyo.blog.de/

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